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Was ist mit unseren Jungs los

Was ist mit unseren Jungs los

Titel: Was ist mit unseren Jungs los
Autoren: Allan Guggenbuehl
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ein Selbstmordattentäter seine Tat zu rechtfertigen versucht. Kann man seine Motive nachvollziehen? Wieder andere Inputs befassen sich mit Provokationen, dem Ablauf einer Schlägerei, Zivilcourage oder Sexualität und Gewalt. Die meisten Inputs werden von uns Gruppenleitern festgelegt, gelegentlich bringen die Jungen eigene Themen ein. Sie wollen die politische Situation im Kosovo diskutieren, über Rassismus reden oder unsere eigene Gewaltgeschichte hören.
    Wichtig bei den Inputs ist, dass wir auf den moralischen Zeigefinger verzichten oder das Thema banalisieren, indem wir es auf eine Trainingseinheit reduzieren. Rollenspiele, in denen die Jungen lernen sollen, ihre Aggressionen zu zügeln oder Zivilcourage zu zeigen, machen nur dann einen Sinn, wenn sie von tatsächlichen Erlebnissen ausgehen. Werden sie jedoch als didaktische Tricks mit dem Ziel einer Bewusstseinsänderung oder eines Wissenstransfers eingesetzt, ist der Nutzen fraglich. Rollenspiele, durch die sich die Jungs Kompetenzen aneignen oder lernen sollen, wie man sich »richtig« verhält, bleiben an der Oberfläche. Bei den meisten Jungen sind solche Übungen nach einem vorgegebenen Skript verhasst.Sie reagieren irritiert, da sie wieder in einen infantilen Zustand zurückbeordert werden. »Ihr müsst Abbitte leisten und lernen wie man sich richtig verhält!«, hören sie als Botschaft heraus. Die Tat wird nicht als Versuch gesehen, sich in die Erwachsenenwelt einzuschreiben und schuldig zu werden. Der Eintritt in die Erwachsenenwelt wird verwehrt, wenn man den Jungen noch mehr Kompetenzen antrainieren will. »Ihr seid für den Eintritt ins Erwachsenenleben noch nicht bereit!«, hören sie heraus, passen sich an oder schieben das Ausleben der eigenen Aggression auf. Eigentlich handelt es sich um Nacherziehungsprogramme, ohne dass die Jungen als suchende, verzweifelte oder traumatisierte Menschen wahrgenommen werden. Wichtig bei den Inputs ist darum, dass man sich gemeinsam dem Thema Gewalt und Aggression stellt und die Jungen auffordert, ihren Anteil an der Lösung dieses Problems zu leisten.
    Nach Abschluss des offiziellen Gruppenprogramms sitzen wir mit den Jungen zusammen, nehmen einen Imbiss ein und unterhalten uns über belanglose Themen oder witzeln. Bei diesem letzten Teil der Gruppensitzung begegnet man sich von Mensch zu Mensch. Viele Jungen nehmen uns dann hoch oder berichten über Themen, die vorher keinen Platz hatten.
Abschlusshandlung
    Die Jungen bleiben zwischen sechs Monaten und zwei Jahren in einer Gruppe. Der Gruppenabschluss hängt von ihrem Verhalten in der Freizeit, in der Schule oder Familie ab. Der Austritt ist möglich, wenn die Rückmeldungen positiv sind und es zu keinen weiteren Vorfällen gekommen ist. Unser persönlicher Eindruck allein entscheidet nicht über Abschluss oder Fortsetzung der Sitzungen. Jungen, die sich während der Sitzungen scheinbar uneinsichtig verhalten, können sich außerhalbder Gruppe gebessert haben, und von anderen, die in der Gruppe Asche auf ihr Haupt streuen, hören wir dann vielleicht, dass sie in der Schule einen Lehrer angerempelt haben oder sonstwie aggressiv waren. Weil der Eindruck in der Gruppe oft nicht mit dem Verhalten im realen Leben übereinstimmt, braucht es eine Realitätskontrolle. Der Fokus liegt auf dem Verhalten in der Szene, bei ihren Peers oder in der Schule. Oft ist es so, dass sich mit der Absage an die Gewalt auch neue Perspektiven ergeben. Plötzlich klappt es mit der Lehrstelle, die Noten in der Schule bessern sich oder der Junge entwickelt ein Freizeitinteresse. Ist die Energie von der Szene abgezogen und die Faszination für Gewalt weg, haben die Jungen Platz und Energie für andere Tätigkeiten und Themen. Wir haben jedoch den Eindruck, dass viele Jungen zuerst den Umweg über das Unterweltthema Gewalt machen, sich dreckig machen müssen, bevor sie sich zivilisieren.
    Bei der Abschlusshandlung ist wichtig, dass wir die Jungen aufwerten . Sie sind am Schluss keineswegs brave Bubis, die sich von nun an den Vorgaben der Alten fügen, sondern haben mit uns zusammen eine Reise in die Abgründe des menschlichen Lebens gewagt. Zusammen mit anderen haben sie sich Themen gestellt, die andere meistens umgehen oder durch lebensfremde Sprüche abwehren. Dieser Einsatz will belohnt werden. In der Regel laden wir zu einem Abschlussakt ein: wir geben ihnen ein letztes Feedback, laden sie zu einem Kebab ein oder übergeben ihnen ein Geschenk. Sind sie über achtzehn Jahre alt, dann
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