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Was ist mit unseren Jungs los

Was ist mit unseren Jungs los

Titel: Was ist mit unseren Jungs los
Autoren: Allan Guggenbuehl
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beginnen können. Sie wissen, dass sie alle Probleme mit Gewalt haben und als Täter gelten. Wenn sie einer Gruppe beitreten, dann wollen sie jedoch als Erstes wissen, wer die Anderen sind und welche Position sie in der Gruppe einnehmen werden. Die Hierarchien müssen geklärt werden, bevor man die persönlichen Themen aufgreift. Sie beziehen sich auf verschiedene Themen: Körperkräfte, Humor, Schulleistung, Fachkenntnisse, sportliche Fähigkeiten, Drogenerfahrungen oder Frauenbekanntschaften. Damit es nicht unterschwellig zu Machtkämpfen kommt, gehen wir beim AAT-Programm das Thema offensiv an. Wir möchten wissen, wer der Stärkste der Gruppe ist, wer die schlimmste Gewalttat verübt hat und am meisten Frauenbekanntschaften hatte. Die Methoden, um das herauszufinden, sind unterschiedlich. Eine Möglichkeit, den Stärksten unter der Gruppe zu bestimmen, ist der Flaschentest, eine andere Möglichkeit ist ein Armdrückwettbewerb oder Gewichtheben. Wichtig ist, dass man sich einig ist über die Regeln und die Bestimmung des Siegers. Wenn wir herausfinden wollen, wer die schlimmsten Gewalttaten verübt hat oder am meisten Frauenbekanntschaften hatte, stellen wir Stühle in eine Reihe und überlassen es ihnen zu bestimmen, welche Reihenfolge sie wählen. Auf dem ersten Stuhl sollte derjenige Junge sitzen, der am meisten Mädchen kannte oder die schlimmste Tat verübt hatte.
    Man kann einwenden, dass solche Übungen problematisch sind, weil Persönlichkeitsunterschiede zu Tage treten und Machtstrukturen verfestigt werden. Unsere Erfahrung ist jedoch, dass in Jungengruppen nach der Klärung der Hierarchien Ruhe einkehrt und die Jungen sich gegenseitig akzeptieren und respektieren. Versteckte Rollen, Ansprüche oder Dynamiken werden fass- und diskutierbar. Persönlichkeitsund Rollenattribute werden enttabuisiert. Auffallend ist weiter, dass die Jungen dann auch soziale Kompetenzen entwickeln. Sie stehen sich gegenseitig bei und unterstützen sich. Sie kennen das System und wissen, wie sie sich darin zu verhalten haben. 134 »Soll ich dir verraten, wie man eine Frau anspricht?«, sagte der Junge, der am meisten Frauenbekanntschaften hatte, einen Jungen, der weit hinter ihm einen Stuhl eingenommen hatte. Die Abklärung der Positionen gehört in die Anfangsphase eines Gruppenzyklus. Sobald die Hierarchien geklärt sind und die Gruppe sich gefestigt hat, werden andere Einstimmungsübungen eingesetzt. Die Hierarchieklärungen werden durch kurze Denkspiele, Quiz, Gespräche über aktuelle Themen oder politische Fragen abgelöst.
Befindlichkeitsrunden über Taten
    In der ersten Phase der Gruppensitzungen geht es um die Taten der Jungen. Sie berichten uns und den anderen, wieso sie die Gruppe besuchen müssen und in welcher Gewaltszene sie involviert waren. Sie müssen ihre Taten ungeschminkt offenlegen und ihren Anteil reflektieren. Meistens sitzen die Jungen in der Mitte des Raums und werden von den anderen Gruppenmitgliedern in die Zange genommen. Beginnt ein Junge zu beschönigen oder Details wegzulassen, greifen wir Gruppenleiter ein. Wir kennen die Einweisungsgründe, die Vorfälle und merken meistens, wenn ein Junge zu schummeln beginnt. »Was behauptest du? Du hättest nur gedroht? Was ist dann mit dem Messer, das du in der Hand hattest?«, wird eine Gruppenleiterin eventuell einwenden und klar machen, dass seine Geschichtsklitterei nicht akzeptiert wird. Entweder arbeitet er direkt und ehrlich mit oder er hat in dieser Gruppe nichts zu suchen. Erscheint einem an der Darstellung eines Vorfalls etwas faul, wird sofort reagiert. »Deine Augen teilen mir etwas anders mit! Ich glaube dir kein Wort«, werden wir unter Umständen einwenden.
    Durch die Konfrontation mit der Tat wird den Jungen signalisiert, dass wir das Verhalten, das zum Delikt führte, nicht billigen. Gleichzeitig kommunizieren wir jedoch, dass wir sie als Person akzeptieren, wenn sie mit uns zusammenarbeiten. Wir bieten uns als Beziehungspartner an und sind bereit, uns vertieft mit ihnen auseinanderzusetzen, wenn sie versuchen, den Dämon Gewalt in sich zu bewältigen. Durch die Befindlichkeitsrunden treten wir mit den Jugendlichen in Kontakt, beginnen sie zu verstehen und erfahren mehr und mehr über ihr Leben, ihre Sorgen und Wünsche. Wir respektieren sie als Person, verurteilen jedoch ihre Taten. Wie bereits erwähnt, sind für viele Jungen die Taten eine Art Leistungsausweis. Sie haben sich schuldig gemacht und damit endgültig von derKindheit losgesagt.
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