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Entschuldigen Sie Meine Stoerung

Entschuldigen Sie Meine Stoerung

Titel: Entschuldigen Sie Meine Stoerung
Autoren: Jan-Uwe Fitz
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    Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, ich werde neuerdings von einer Wanderbaustelle verfolgt. Vielleicht laufe ich aber auch nur zufällig vor ihr her. Oder vielleicht ist alles nur ein großes Missverständnis. Ich weiß es doch auch nicht. Jedenfalls befinden sich seit geraumer Zeit dauerhaft drei Bauarbeiter in meiner Nähe. Der erste führt einen ohrenbetäubend ratternden Presslufthammer mit sich. Der zweite zieht eine Betonmischmaschine hinter sich her. Und der dritte tanzt ungelenk dazu. Presslufthammer-Sound scheint Musik in seinen Ohren zu sein.
    Wo ich auch bin, die Wanderbaustelle ist nicht weit und lärmt. Es ist wohl weniger eine Wanderbaustelle als vielmehr eine Hinterherlaufbaustelle. Sehe ich die drei Bauarbeiter scharf an, schauen sie unschuldig pfeifend gen Himmel. Ich vermute, sie glauben, sie könnten mir etwas vormachen. Können sie auch.
    Ich war schon mehrmals kurz davor, die Kerle zur Rede zu stellen, um endlich in Erfahrung zu bringen, warum sie mich verfolgen. Aber ich traue mich nicht. Ich spreche ungern Leute an. Auch dann nicht, wenn ich ein wichtiges Anliegen habe. Und wenn ich ihnen dann auch noch irgendetwas unterstellen muss, zum Beispiel, dass sie mich verfolgen, lasse ich es erst recht lieber sein. Ich weiß doch, wie das laufen wird:
    »Warum verfolgen Sie mich?«
    »Was? Wir wollten Sie gerade fragen, warum Sie ständig vor uns herlaufen.«
    Dann stehe ich da und habe keine Antwort. Ich werde »Aber das mache ich doch gar nicht. Das ist alles ein großes Missverständnis« stammeln und mich anschließend verschüchtert aus dem Staub machen. Und wenn ich mir noch so sicher bin, dass ich nicht vor der Wanderbaustelle hergelaufen bin. Jedenfalls nicht mit Absicht. Aber ich muss gestehen: ein merkwürdiger Zufall. Und da die Bauarbeiter zu dritt sind und einmütig behaupten werden, ich sei vor ihnen hergelaufen und nicht umgekehrt, bringt es nichts, die Kerle vor Gericht zu zerren. Mir sind die Hände gebunden. Würden die Typen nur nicht so dicht auflaufen. Ständig fährt mir der Betonmischer in die Hacken.
    Es gibt noch eine dritte mögliche Erklärung: Es ist alles ein göttlicher Plan. Die Wanderbaustelle und ich haben exakt den gleichen Lebensweg. Und ich nur das Pech, dass ich knapp vorneweg gehen muss. Schicksal. Wenn keiner Schuld hat, weder die Baustelle noch ich, dann kann ich die Herren noch so oft bitten, woanders hinzugehen – sinnlos. Ich muss mein Schicksal wohl einfach akzeptieren. Die Wanderbaustelle und ich sind durch ein unsichtbares Band miteinander verbunden. Wir sind füreinander bestimmt. Auf platonischer Ebene natürlich, Sie alte Sau.
    Heute ist es dann passiert. Ich sitze in einem Straßencafé, die Bauarbeiter rühren am Nebentisch Beton, als plötzlich einer von ihnen neben mich tritt und schimpft: »Wissen Sie, jetzt reicht’s.«
    »Was denn?«, frage ich betont unschuldig.
    »Sie laufen seit drei Jahren vor uns her. Ich rufe die Polizei. Stalker-Schwein!«
    »Nein, nein«, belehre ich ihn. »Das ist ein Missverständnis, ich laufe nicht vor ihnen her. Auch wenn man das vermuten könnte. Wir sind vielmehr füreinander bestimmt.«
    Er sieht mich misstrauisch an, dann knurrt er: »Das Einzige, für das Sie bestimmt sind, ist meine Faust. Wenn ich Sie noch einmal sehe, gibt’s ein paar auf die Fresse.« Mir liegt die Frage auf der Zunge, wie viel »ein paar« sein wird, finde mich aber damit ab, dass ich das bestimmt schon bald erfahren werde.
    Als ich heute Nacht wieder von dem ohrenbetäubenden Lärm des Presslufthammers aufwache und den Vorhang meiner Balkontür zurückziehe, stehen die drei Bauarbeiter auf meinem Balkon. Der Presslufthammer rattert, der Betonmischer dreht sich, und ein Bauarbeiter tanzt. Als er mich entdeckt, hält er abrupt inne und ruft: »Aha, Freundchen! Los, Tür aufmachen.« Zögerlich komme ich seinem Befehl nach.
    »Sie schon wieder«, begrüßt er mich.
    »Sie aber auch«, antworte ich geistesgegenwärtig und befürchte, in den nächsten Sekunden ›ein paar auf die Fresse‹ zu bekommen. Um Zeit zu gewinnen, frage ich: »Was machen Sie da eigentlich?«
    »Wir verlegen neue Leitungen.«
    »Auf meinem Balkon?«, hake ich verblüfft nach.
    »Unter Ihrem Balkon«, korrigiert er mich.
    »Unter meinem Balkon befinden sich alte Leitungen? Ich dachte immer, unter meinem Balkon befände sich nur der Balkon der Familie unter mir.«
    »Das kann nicht sein. Unseren Plänen zufolge befinden sich unter Ihrem Balkon alte
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