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Was ist mit unseren Jungs los

Was ist mit unseren Jungs los

Titel: Was ist mit unseren Jungs los
Autoren: Allan Guggenbuehl
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Illusionen. Meist wird versucht, durch Euphorie und Lobhudeleien Fremdheiten zu überbrücken. Man will Unsicherheiten überspielen und die Tatsache verdrängen, dass man sich nur bedingt versteht und Differenzen zu Problemen führen könnten. Aus Naivität oder Angst dreht man auf und verfällt einem oberflächlichen Aktionismus in der Hoffnung, dass Verständigung sich von alleine einstellt. Eigentlich geht es jedoch darum zu verhindern, dass die Gegensätze hervorbrechen und es zu einem Konflikt kommt. Nicht immer funktioniert diese Strategie.
    Konflikte werden nicht nur durch Begegnungsrituale neutralisiert. Gesellschaften haben noch weitere Maßnahmen entwickelt, um Gewalt zu verhindern. Unsere Interaktionen werden durch den Raum beeinflusst, in dem wir uns bewegen. In einer düsteren Bar reden und benehmen wir uns anders als beim Besuch einer Kirche oder wenn wir die Hauptstraße der heimischen Stadt hinunterspazieren. Gesellschaften teilen ihre Lebens- und Arbeitsräume in verschiedene Zonen auf. Diese sind mit unterschiedlichen Codes besetzt. Es handelt sich um ungeschriebene, selbstverständliche Verhaltensnormen, die im entsprechenden Raum gelten. Im Normalfall richten wir uns automatisch nach den Vorgaben des jeweiligenLebensbereiches und können seine Qualitäten erkennen. Es gibt private, öffentliche Räume, sakrale Zonen, Freizeitbereiche und halböffentliche Räume. Im privaten Raum genießen wir die größte Freiheit. Er ist am wenigstens durch allgemeine Erwartungen besetzt. Wie man miteinander spricht, aufeinander zugeht, ob man sich anfasst, umarmt, küsst oder streitet ist allein uns überlassen. Ich kann die Partnerin zuhause mit einem diskreten Kuss auf die Wange, einer leidenschaftlichen Umarmung oder einem Tarzanschrei begrüßen. Weder die Bewegungen noch die Wortwahl sind vorgegeben. Der private Raum ist darum ein Experimentierfeld für neue Verhaltensweisen, Begegnungen und Diskussionen. Dort kann gesagt werden, was man »wirklich« denkt und man kann der eigenen Fantasie freien Lauf lassen. Der größere Freiheitsgrad hat jedoch auch eine Kehrseite: Aggressionen, Frustrationen und Wut werden direkter und offener abreagiert. Man hält sich weniger zurück. Aus diesem Grund kommt es im privaten Raum eher zu Gewalt.
    Im öffentlichen Raum gelten ungeschriebene und stillschweigende Codes und Normen. Wie man sich bewegt, wohin man den Blick wendet, wie nahe man einem unbekannten Menschen treten und wo man sich kratzen darf, ist festgelegt. In öffentlichen Räumen tanzen wir in der Regel nicht wild herum, singen die Marseilleise oder ziehen uns um. Unsere Bewegungen bleiben ruhig und diszipliniert, der Gang zielgerichtet, den Blick nach vorne, und unsere Kleidung sollte nicht zu extrem sein. Man starrt Passanten nicht an, schaut Frauen nicht auf die Brüste oder gibt einer Person, die einen stört, nicht etwa einen Schups. Natürlich: auch hier gibt es Freiheitsgrade. Wir müssen uns nicht zwingend nach solchen Vorgaben richten, können uns ausgeflippt benehmen und die Codes missachten. Die überwiegende Mehrzahl der Menschen hat jedoch Hemmungen, sich im öffentlichen Raum zu blamieren. Wir wollen nicht als verrückt gelten. Die Codesdes öffentlichen Bereiches haben wir internalisiert . Sie disziplinieren uns auch, ohne dass wir sie in Erinnerung rufen. Auch hier gibt es kulturelle Unterschiede: in Japan ist es verpönt, im öffentlichen Bereich mimische Signale zu senden, verboten sich zu küssen, und in Mexiko sollten Frauen nie auf der Straßenseite neben einem Mann gehen. In Korea ist es möglich, dass Männer Händchen haltend einhergehen und andere Passanten anrempeln – eine Verhaltensweise, die in mitteleuropäischen Ländern Befremden auslösen würde.
    Beim dritten Raum handelt es sich um den halböffentlichen Bereich. Darunter versteht man ein Territorium, zu dem theoretisch jeder Zugang hat, der jedoch von einer Person oder Institution definiert und gestaltet wird. In diesen Räumen gelten die Codes der betreffenden Institution. Zum halböffentlichen Bereich gehören Restaurants, Bibliotheken, Kirchen, jedoch auch der öffentliche Verkehr. Jeder kann eine Fahrkarte kaufen und in einen Zug einsteigen. 26 Sobald er sich allerdings an einen Tisch setzt oder einen Sitz in einem Eisenbahnwagon einnimmt, müssen bestimmte Verhaltensregeln beachtet werden. Im Zug darf man die Füße nicht auf den gegenüberliegenden Sitzplatz legen, rauchen, laut schreien oder eine wilde Party
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