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Was ist mit unseren Jungs los

Was ist mit unseren Jungs los

Titel: Was ist mit unseren Jungs los
Autoren: Allan Guggenbuehl
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renitent und unbelehrbar. Dieser Lehrmeister brachte eine Wende. Bei ihm erlebte er zum ersten Mal, dass er sich nicht nur anpassen musste, sondern sich selber als Person einbringen konnte.Seine Haltung ist typisch für junge Männer. Sie möchten nicht nur mit Ausbildung beschenkt werden, sondern verlangen auch nach einem Auftritt. Sie möchten in ihrer individuellen Persönlichkeit bestätigt werden und das Gefühl haben, eine außerordentliche Leistung erbringen zu können. Wenn sie sich nur anpassen und annehmen müssen, dann werden die Anstrengungen der Auszubildenden nicht mehr geschätzt und die Ausbildungsinhalte werden aus der Sicht der Jugendlichen hohl. Die Erwachsenen wollen sich generös zeigen und sozial geben, indem sie die Ausbildung durch den Staat finanzieren lassen, doch bei den Jugendlichen kommt oft eine ganz andere Botschaft an: Wir sind und bleiben definitiv die Stärkeren, wir bestimmen, was die Bildungsinhalte sind, und brauchen euch Jungen nur, um Euch nach unseren Vorstellungen zu prägen. Vor allem junge Männer begegnen Ausbildungen oft mit Skepsis. Unbewusst weigern sie sich, in einer infantilisierten Position zu verharren.
     
    Codes und Rituale, die das Zusammenleben regeln, beachten wir, weil wir sie internalisiert haben. Wenn wir uns mit einer Kultur identifizieren, orientieren wir uns wie selbstverständlich an ihren Vorgaben. Wir müssen nicht durch Erinnerungstafeln, Handbücher oder Kurse daran erinnert werden. Der Respekt vor den Codes wird zu einem Teil unseres Selbst. Wenn wir einen Code verletzen, dann schämen wir uns und fühlen uns unwohl. Es stört uns, bei einer Einladung mit leeren Händen zu erscheinen oder einem Fahrgast im Bus zu nahe zu treten. Das Unbewusste sendet Signale und erinnert uns an die Bandbreite der erlaubten Verhaltensweisen. Die kontrollierende und ordnende Instanz sind wir selbst und ist die Folge einer psycho-emotionalen Einstimmung auf den entsprechenden Lebensbereich. Diese kulturelle Angliederung geschieht über die gelebten Werte, Mythen und die effektiv gesprochene Sprache, in der Schweiz der Dialekt. Wenn wireine Kultur verinnerlicht haben, dann reagieren wir empfindlich auf Sanktionen. Wir ärgern uns über den strafenden Blick der Nachbarin, der uns in Erinnerung ruft, dass man am Sonntag keine Flaschen entsorgen sollte, oder man findet es peinlich, wenn man betrunken die Hauptstraße des Heimatortes hinunter torkelt. Die Verhaltensregeln sind Teil des Überichs, so dass man von innen heraus auf eigene Übertretungen reagiert.
    »Komm, wir fahren nach Zürich, dort läuft am 1. Mai etwas, und man kann Polizistenschweine verdreschen!«, höre ich eine Gruppe junger Männer ausrufen, als ich in Bern am Bahnhof stehe. Sie fahren in die ihnen fremde Stadt, weil es dort Zoff gibt, man eine Straßenschlacht erleben und Ladenscheiben einschlagen kann. Die Stadt wird zu einem Ort, wo man unter dem Vorwand, an einer Demonstration teilzunehmen, die Lust an der Gewalt ausleben kann. Die jungen Männer aus den Dörfern Bümpliz, Muri oder Niederbipp haben die Codes der urbanen Zonen nicht internalisiert. Aus ihrer Sicht handelt es sich um ein Niemandsland, wo man tun und lassen kann, was man will. Zuhause werden sie sich jedoch empören, wenn die Schwester den MPD-Player aus ihrem Schlafzimmer genommen hat, um ihn für kurze Zeit auszuleihen.
    Gewalt wird weder durch eine hohe Moral, eine intakte Persönlichkeit noch durch große Empathiefähigkeit verhindert. Die Neigung zur Gewalt gehört zum Basisrepertoire der Mehrzahl junger Männer und Frauen. Aus anthropologischer Sicht ist Gewalttätigkeit normal. Natürlich geben wir dies nicht zu. Unser Selbstbild verbietet es uns. Der Wunsch, Konflikte auf anderem Weg zu lösen und miteinander friedlich umzugehen, ist ebenso tief in uns verankert wie unsere Neigung zu Gewalt. Da unsere gewalttätige Seite mit unserem Friedenswunsch in Widerspruch steht, suchen wir nach Gründen, um unser Gewaltbedürfnis auszuleben, und nach Orten,die die Möglichkeit dazu eröffnen. Die moralische Berechtigung wird oft nachgeliefert; man kämpft gegen Kapitalismus, die Faschos, die Linken oder Rassisten. Neben moralischer Charakterstärke, die wir jedoch als Normalbürger nicht immer aufbringen, ist es vor allem die Einbindung in eine Gemeinschaft, die verhindert, dass wir nicht den armen Nachbarn attackieren oder eine psychopathische Nebenbuhlerin vergiften. Unsere persönliche Haltung allein genügt nicht.
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