Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was ich dir schon immer sagen wollte

Was ich dir schon immer sagen wollte

Titel: Was ich dir schon immer sagen wollte
Autoren: Alice Munro
Vom Netzwerk:
sie, um die Verspottung wiedergutzumachen.
    Er besaß einen schwarzen Talar, den er über dem Anzug trug, wenn er unterrichtete. Sogar wenn er ihn nicht trug, konnte sie diesen Talar an ihm sehen. Wenn er durch die Straßen eilte, unterwegs zu einer seiner zahllosen, freudig eingegangenen Verpflichtungen, vor den Oratoriensängern fuchtelte, auf die Bühne sprang – so dass der ganze Boden bebte –, um den Schauspielern etwas zu demonstrieren, kam es ihr so vor, als flatterten hinter ihm diese langen, lächerlichen Krähenflügel, als sei er so verschieden von anderen Männern, so absurd, aber dabei faszinierend wie der Priester vom Heiligen Kreuz. Char überredete ihn dazu, den Talar abzulegen, nachdem sie geheiratet hatten. Sie hatte gehört, dass er gestolpert war, als er darin eine Treppe in der Schule hinaufeilte. Er war lang hingeschlagen. Das reichte ihr, sie zerriss den Talar.
    »Ich hatte Angst, das du dir demnächst richtig weh tust.«
    Aber Arthur sagte: »Ach was. Du dachtest, ich sehe aus wie ein Tollpatsch.«
    Was Char nicht abstritt, obwohl seine Augen, sein breites Lächeln sie darum anflehten. Ihre Mundwinkel zuckten gegen ihren Willen. Verachtung. Zorn. Et sah, sie beide sahen eine große Welle davon über sie hinweggehen, bevor sie ihn anlächeln und sagen konnte: »Sei nicht albern.« Dann versuchten ihr Lächeln und ihre Augen, sich an ihm festzuhalten, sich an seine Güte zu klammern (die sie sah, ebenso wie jeder andere, die sie aber letztlich nur in Rage brachte, ebenso wie seine schweißfeuchte Stirn oder sein galoppierender Optimismus), bevor die tosende Welle zurückkommen, sie mit sich forttragen konnte.
    Char hatte im ersten Jahr ihrer Ehe eine Fehlgeburt und war danach lange krank. Sie wurde nie wieder schwanger. Et wohnte inzwischen nicht mehr im Haus; sie hatte sich etwas Eigenes am Marktplatz gesucht, aber sie war immer am Waschtag da und half Char die Bettwäsche von der Leine abzunehmen. Ihre Eltern waren zu jener Zeit schon beide tot – ihre Mutter war vor und ihr Vater war nach Chars Hochzeit gestorben –, aber für Et sah es aus wie Wäsche für zwei Betten.
    »Das gibt viel zu waschen.«
    »Was?«
    »Die Bettwäsche so oft zu wechseln, wie du es tust.«
    Et war oft abends da, spielte Rommé mit Arthur, während Char im anderen Zimmer im Dunkeln auf dem Klavier herumklimperte. Oder sie las Bücher aus der Bibliothek und unterhielt sich mit Char, während Arthur Klassenarbeiten korrigierte. Arthur brachte sie dann nach Hause. »Warum musstest du überhaupt ausziehen und alleine wohnen?«, schalt er sie. »Du solltest zurückkommen und bei uns leben.«
    »Drei sind einer zu viel.«
    »Es wäre ja nicht für lange. Ein Mann wird eines Tages des Wegs kommen und sich heftig in dich verlieben.«
    »Wenn er so ein Blödmann wäre, das zu tun, würde ich mich nie in ihn verlieben, also wäre alles wieder auf Anfang.«
    »Ich war ein Blödmann, der sich in Char verliebt hat, und am Ende hat sie mich genommen.«
    Genauso wie er sagte, Chars Name weise bereits darauf hin, dass sie über, außerhalb aller normalen Erwägungen sei – ein Wunder, ein Rätsel. Niemand konnte hoffen, sie je zu lösen, sie konnten schon von Glück sagen, dass ihnen erlaubt war, sie zu betrachten. Et war drauf und dran zu sagen: »Sie hat mal wegen eines Mannes, der sie nicht haben wollte, Wäscheblau geschluckt«, doch dann dachte sie, worauf würde das hinauslaufen, Char würde ihm nur noch großartiger vorkommen, wie eine Heldin bei Shakespeare. Er kniff Et in die Taille, als wollte er ihrer beider kameradschaftliche Ratlosigkeit, unwillkürliche Verneigung vor ihrer Schwester betonen. Sie spürte hinterher die Druckstellen seiner Finger, als hätten sie direkt über ihrem Rockbund Dellen hinterlassen. Es hatte sich angefühlt, als probierte jemand geistesabwesend Klaviertasten aus.

    Et hatte sich als Damenschneiderin niedergelassen, in einem langen, schmalen Raum am Marktplatz, ein ehemaliger Laden, wo sie das Zuschneiden, Nähen, Bügeln und die Anproben erledigte und hinter einem Vorhang kochte und schlief. Sie konnte im Bett liegen und die Platten aus gepresstem Blech an ihrer Decke betrachten, deren Blumenmuster, alle ihr Eigentum. Arthur hatte es nicht gefallen, dass sie Schneiderin wurde, denn er fand, sie sei dafür zu intelligent. Ihre harte Arbeit in Geschichte hatte bei ihm zu einer übertriebenen Vorstellung von ihren Geistesgaben geführt. »Außerdem«, sagte sie ihm, »braucht man mehr
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher