Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was ich dir schon immer sagen wollte

Was ich dir schon immer sagen wollte

Titel: Was ich dir schon immer sagen wollte
Autoren: Alice Munro
Vom Netzwerk:
sich über sich selbst lustig, bewegte sich aber so elegant wie ein Schauspieler.
    »Der ist doch in sich selbst verliebt?«, sagte Et zu Char, als sie ihm zuschauten. Sie hatte von Anfang an beschlossen, Blaikie nicht zu mögen.
    »Ja, selbstverständlich«, sagte Char.
    Sie erzählte es Blaikie. »Et sagt, du bist in dich selbst verliebt.«
    »Und was hast du geantwortet?«
    »Ich habe ihr gesagt, das musst du ja sein, da es niemand sonst ist.«
    Blaikie machte das nichts aus. Er hatte beschlossen, Et zu mögen. Er legte es immer darauf an, mit einem raschen Zupfer ihre Frisur aus aufgebundenen Zöpfen zu zerstören. Er tischte ihnen einiges über die Varietékünstler auf. Er erzählte ihnen, dass der schottische Balladensänger ein Trunkenbold war und ein Korsett trug, dass der Damenimitator sogar in seinem Hotelzimmer ein blaues Nachthemd mit Federn anlegte, und dass die Bauchrednerin mit ihren Puppen – sie hießen Alphonse und Alicia – redete, als seien es lebendige Menschen, und sie im Bett immer neben sich setzte.
    »Woher weißt du das?«, fragte Char.
    »Ich habe ihr das Frühstück gebracht.«
    »Ich dachte, dafür habt ihr Zimmermädchen.«
    »Am Morgen nach der Vorstellung tue ich das. Dann gebe ich ihnen die Lohntüte und ihre Entlassungspapiere. Einige von denen würden die ganze Woche über bleiben, wenn ich ihnen nicht Bescheid gäbe. Sie sitzt im Bett und will sie mit Schinkenstückchen füttern, redet mit ihnen und lässt sie antworten, du würdest dich totlachen, wenn du sie sehen könntest.«
    »Sie ist eben übergeschnappt«, sagte Char friedlich.

    Eines Nachts in jenem Sommer wurde Et wach, und ihr fiel ein, dass ihr rosa Organdykleid, das sie von Hand gewaschen hatte, immer noch auf der Wäscheleine hing. Sie meinte es regnen zu hören, gerade die ersten Tropfen. Es regnete nicht, es war nur Laub, das raschelte, aber sie war durcheinander von diesem Aufwachen. Sie meinte auch, es sei tiefste Nacht, aber als sie später darüber nachdachte, kam sie zu dem Schluss, dass es auch erst Mitternacht gewesen sein konnte. Sie stand auf, ging hinunter, knipste das Licht in der Waschküche an, öffnete die Hintertür, trat auf die kleine Veranda und zog die Wäscheleine zu sich heran. Dann, fast unter ihren Füßen, im Gras gleich neben der Veranda, wo ein großer Fliederstrauch stand, der ohne Pflege zur Größe eines Baums gewachsen war, regten sich zwei Gestalten, standen nicht auf, setzten sich nicht einmal auf, hoben nur die Köpfe wie im Bett, immer noch irgendwie miteinander verknotet. Die Küchenlampe schien nicht direkt in den Hof, warf aber so viel Licht, dass sie ihre Gesichter sehen konnte. Blaikie und Char.
    Sie konnte nicht erkennen, in welchem Zustand ihre Bekleidung war, wie weit sie gegangen waren oder gingen. Nicht, dass sie es gewollt hätte. Ihre Gesichter zu sehen genügte ihr. Ihre Münder waren groß und geschwollen, ihre Wangen eingedrückt und rau, ihre Augen waren Löcher. Et ließ ihr Kleid los, sie floh ins Haus und in ihr Bett, wo sie zu ihrer Überraschung einschlief. Char erwähnte am nächsten Morgen kein Wort davon. Sie sagte nur: »Ich habe dein Kleid reingeholt, Et. Ich dachte, vielleicht regnet es.« Als hätte sie Et überhaupt nicht da draußen an der Wäscheleine ziehen sehen. Et überlegte. Sie wusste, wenn sie sagte: »Du hast mich gesehen«, würde Char ihr wahrscheinlich einreden, dass es ein Traum war. Dann brauchte sie Char nur noch im Unklaren zu lassen, ob sie ihr das abnahm. Dadurch würde Et mehr erfahren; sie würde erfahren, wie Char aussah, wenn sie die Macht verlor, ihr Amt niederlegte. Der ertrunkene Sandy, mit grünem Zeug, das seine Nasenlöcher verstopfte, konnte nicht elender ausgesehen haben.

    Vor Weihnachten erreichte Mock Hill die Nachricht, dass Blaikie Noble geheiratet hatte. Er hatte die Bauchrednerin geheiratet, die mit Alphonse und Alicia. Diese Puppen, die Abendkleidung und gelackte Frisuren im Stil von Vernon und Irene Castle trugen, waren deutlicher in Erinnerung geblieben als die Dame selbst. Das Einzige, was sich den Leuten eingeprägt hatte, war, dass sie nicht unter vierzig gewesen sein konnte. Ein neunzehnjähriger Junge. Das lag daran, dass er nicht so erzogen worden war wie andere Jungen, man hatte ihm erlaubt, das Hotel zu führen, nach Kalifornien mitzufahren, mit allen möglichen Leuten zu verkehren. Das Ergebnis war Verworfenheit, wie nicht anders zu erwarten.
    Char schluckte Gift. Oder was sie für Gift hielt. Es war
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher