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Was ich dir noch sagen will

Was ich dir noch sagen will

Titel: Was ich dir noch sagen will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofie Cramer
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nach dem Waschlappen, den Lisa ihm hinhielt.
    «Was ist denn? Hast du schlecht geträumt?»
    Erik schloss kurz seine Augen, um sich mit dem Tuch übers Gesicht zu fahren. Dann sah er Lisa ernst an und sagte mit zitternder Stimme: «Ich hab geträumt, wir stürzen ab.»

[zur Inhaltsübersicht]
1.
    Vier Wochen später
    Lisa stand am Küchenfenster und spielte gedankenverloren mit ihrem Ring am Finger. Zwei winzige Blaumeisen pickten ein paar Krümel vor der Mülltonne im Innenhof auf und flogen zurück zu einem großen Ahornbaum.
    Schon als kleines Mädchen hatte Lisa Vögel, Schmetterlinge und natürlich auch die Elfen aus ihren Lieblingsbüchern darum beneidet, wie scheinbar mühelos sie durch die Luft schwebten und die Welt von oben betrachteten, wodurch sich so vieles hier unten relativierte. Doch in letzter Zeit war alles anders.
    Seit ihrer Rückkehr aus den Flitterwochen wirkte jede Minute des Tages intensiver, obwohl nun fast ein ganzer Monat vergangen war. Aber den Schock bei ihrer Ankunft hatte Lisa noch immer nicht überwinden können. Noch immer hatte sie die emotional aufgeladene Begrüßung ihrer Mutter Irene im Ohr. «Gott sei Dank, ich bin so froh, dass ihr lebt!», waren ihre Worte gewesen. Sie hatte ihre Arme ausgebreitet und Lisa und Erik gleichzeitig fest an sich gedrückt. Erik reagierte auf so viel überschwängliche Wiedersehensfreude gereizt. Er war kaputt und müde nach der langen Rückreise, und seine Nerven lagen zusätzlich blank, weil das Gepäck in dem ganzen Durcheinander der Umbuchung nicht durchgecheckt, sondern zunächst irgendwo verloren gegangen war.
    Doch Lisa war sofort klar, dass etwas passiert sein musste. Der Ton ihrer Mutter brannte sich ihr ins Gedächtnis und hallte seitdem ständig nach. Wie ein Film lief die Begrüßung am Hamburger Flughafen wieder und wieder vor ihrem geistigen Auge ab – etwa vor dem Einschlafen, beim Duschen oder wenn sie im Supermarkt in der Schlange stand. Und auch jetzt in der Stille ihrer leeren Wohnung waren die Details der Szene überdeutlich: Irene kämpfte mit den Tränen, und auch Lisas Vater Hans hatte glasige Augen, als er seine Tochter in die Arme schloss und von den schlimmsten Stunden seines Lebens berichtete. Wie sie auf Entwarnung gehofft hatten. Auf ein Lebenszeichen von Lisa und Erik.
    Eine Nachbarin hatte am frühen Abend wild an ihrer Tür geklingelt und berichtet, dass sie im Radio gerade eine kurze Meldung über ein Flugzeugunglück im Indischen Ozean gehört habe. Die Maschine sei von Sansibar aus in Richtung Festland gestartet, aber aus noch ungeklärter Ursache kurz vor der Landung über dem Meer abgestürzt. Keiner der 48 Fluggäste und sechs Besatzungsmitglieder habe das Unglück überlebt.
    Sofort suchten Irene und Hans im Internet nach weiteren Informationen. Die Schreckensmeldung durfte einfach nicht wahr sein! Aus einem dpa-Bericht erfuhren sie, dass unter den Passagieren angeblich auch sechs deutsche Urlauber waren. Da Lisa wie bei jeder Reise die Adresse der Hotels und des Veranstalters hinterlassen hatte – falls ihren Eltern oder ihrem Bruder Lenny und seiner Familie etwas zustoßen würde –, riefen sie umgehend bei der Reiseleitung an. Doch deren Anschluss war zunächst ständig besetzt. Durch weitere Recherchen ermittelten Irene und Hans schließlich die Flugnummer und riefen im Auswärtigen Amt an. Doch obwohl die Referentin am anderen Ende der Leitung überaus bemüht war, zu helfen, konnte sie die vor Sorge beinahe erstickten Eltern nicht beruhigen. Auch keiner der unzähligen Anrufversuche auf Lisas oder Eriks Handy glückte, sodass Irene und Hans sich in Gedanken bereits das Schlimmste ausmalten. Sie vermochten jedoch nicht, es laut auszusprechen. Nach über drei Stunden, in denen die Angst sie zu zerreißen drohte, war endlich, endlich der erlösende Anruf der Reiseleitung aus München gekommen. Die Dame erklärte, dass das Ehepaar Lisa und Erik Grothe zwar ursprünglich für die Unglücksmaschine gebucht war, aber aus irgendeinem Grund nicht eingecheckt hatte. Die beiden hätten kurzfristig umgebucht, befänden sich nach Angaben der tansanischen Flugbehörde jedoch bereits auf dem Flug nach Hamburg.
    Lisa hob ihren Blick und starrte in den blauen Himmel. Jeder Versuch, die erschütternde Erkenntnis zu verdrängen, dass sie ihr Leben einem winzigen Zufall verdankten, war seither gescheitert. Wenn sie ihren Ehering nun nicht im Hotelsafe vergessen hätte? Wenn sie nicht umgekehrt wären? Wenn sie in dem

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