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Was ich dir noch sagen will

Was ich dir noch sagen will

Titel: Was ich dir noch sagen will
Autoren: Sofie Cramer
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Zwar hatten sie schon mehr als die Hälfte der rund einstündigen Strecke zum Flughafen hinter sich gebracht, aber ohne ihren Ehering hätte sie niemals ins Flugzeug steigen können!
    An ihrem vorletzten Urlaubstag war Lisa nach dem Frühstück noch einmal aufs Zimmer gegangen, um ihre Strandutensilien zu holen. Erik war bereits auf seiner obligatorischen Joggingrunde unterwegs, denn er mochte auch im Urlaub nicht auf sein tägliches Training verzichten. Lisa hatte beschlossen, noch ein Mal in den heftigen Wellen des Indischen Ozeans zu baden und anschließend mit einer vom Hotel organisierten Gruppe Beachvolleyball zu spielen. Für diese Aktivitäten – so hatte sie sich eingeredet – würde das Tragen von Schmuck hinderlich oder doch zumindest sehr risikoreich sein. Also legte sie den Ring zu den anderen Wertsachen in den kleinen Safe, der im Kleiderschrank aus Tropenholz eingebaut und mit einem Zahlencode gesichert war. Sie tippte das Datum ihrer Hochzeit ein – 1010, für den 10. Oktober – und versteckte den Ring unterhalb des dicken, grauen Filzstoffs, auf dem ihre Ausweise, die Flugtickets und Handys sowie noch ein wenig Bargeld lagen. Erik hätte sich über diese zusätzliche Vorsichtsmaßnahme sicher lustig gemacht. Lisa dagegen ärgerte es, dass Erik seinen Ring gleich zu Hause gelassen hatte. Für mögliche Einbrecher gut sichtbar lag er auf seinem Nachttisch in ihrer gemeinsamen Hamburger Wohnung.
    Lisa trug ihren Ring dagegen Tag und Nacht, denn sie glaubte fest an die positive Wirkung, die dieses schmale, matte Schmuckstück aus Weißgold auf ihr Leben und ihr gemeinsames Glück hatte. Zumindest bildete sie sich ein, dass der Ring ihr stets Kraft gab. Wann immer sie eine verzwickte Entscheidung zu treffen oder sonst eine heikle Situation zu überstehen hatte, griff sie intuitiv zum Ring an ihrer rechten Hand und begann, spielerisch an ihm zu drehen. Augenblicklich wurde sie ruhiger und klarer in ihren Gedanken.
    Die Angst, ihr Ring könne auf ominöse Weise aus dem Hotelsafe verschwinden, war ihr zwar peinlich. Aber es war das erste Mal in den acht Monaten, die sie verheiratet waren, dass sie ihn abnahm und ihn sicher versteckte. So sicher, dass sie ihn schließlich beim Packen selbst vergaß.
    Erst auf dem Weg zum Flughafen, als Lisa aus dem Fenster des alten Minibusses einen Jungen beobachtete, der fröhlich und voller Hingabe eine lädierte Fahrradfelge vor sich herrollte, hatte ihr Herz einen riesigen Satz gemacht. «Verdammt!», rief sie. «Ich habe meinen Ring vergessen!»
    Erik blickte sie irritiert an, doch Lisa hatte sich schon an den Fahrer gewandt: «We have to go back. Immediately!»
    Der Mann hörte wohl an ihrer Stimme, dass es sich um etwas wirklich Wichtiges handelte, denn er stoppte sofort den Wagen. Erik hingegen sah Lisa nur mit hochgezogenen Augenbrauen an und versuchte anschließend, sie davon zu überzeugen, dass es sicher eine vernünftigere Lösung des Problems gab.
    Meistens gab Lisa in solchen Diskussionen nach. Denn Erik vermochte es auf nüchterne Weise, seine rationalen Überlegungen gegen ihre emotionale Sicht der Dinge zu behaupten.
    Doch diesmal gab Lisa nicht nach. Sie bestand darauf, zurückzukehren, statt sich auf die Integrität des Hotelpersonals zu verlassen oder mit einem Ersatzring vertrösten zu lassen. Es war schließlich ihr Talisman, ihr Glücksbringer. Und wenn Lisa etwas wirklich wichtig war, zeigte sie eine Entschlossenheit, der selbst Erik nichts Wirksames mehr entgegensetzen konnte. Da konnte er ihr durch seinen genervten Gesichtsausdruck noch so deutlich zu verstehen geben, wie albern er ihren Aberglauben fand. Zugegeben, in besonders sentimentalen Situationen war sie geneigt, an romantische Zeichen statt an banale Zufälle zu glauben. Aber für Lisa war der Ehering nun mal ein wichtiges Symbol ihres neuen, sichereren Lebensgefühls.
    Nachdem der Fahrer geduldig die Diskussion der beiden abgewartet hatte, deutete ihm Erik widerwillig, er solle tatsächlich umkehren. «Hakuna matata!», hatte der Mann lachend erklärt und gleich darauf den Wagen gewendet.
    Wie oft sie diesen Ausdruck in den vergangenen 20 Tagen schon gehört hatten! Bei jeder denkbaren Begebenheit war ein gleichmütiges «Hakuna matata. Kein Problem!» erklungen: beim Ordern ihrer Getränke an der Bar, bei der Zahlung von Trinkgeld, nachdem ihre Safari-Ausrüstung vom Wagen ins Hotelzimmer getragen worden war, und selbst als sie die aufdringlichen Ausflugsangebote der immer
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