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Was gewesen wäre

Was gewesen wäre

Titel: Was gewesen wäre
Autoren: Gregor Sander
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besuchen?«
    »Wenn du mit den Ungarn Russisch sprichst, dann gibt es was auf die Mütze«, antwortete sie und war doch froh, dass er nicht Baku gebucht hatte oder Kiew.
    Astrid lässt nichts Gemeines über den Portier fallen, als sie in dem kleinen Fahrstuhl nach oben fahren, erwähnt nichts über dessen demonstratives Desinteresse an Paul. Sie sagt nichts über das Grau im langen Flur der vierten Etage. Auch den leicht muffigen Geruch im Zimmer lässt sie so unkommentiert wie die Sepiatöne, in die hier alles gehalten ist. Sie geht hinaus auf den Balkon und sieht auf die Donau, die sich wie eine Markierungslinie durch die Stadt zieht. Der Straßenlärm einer großen Kreuzung schlägt ihr entgegen. Die Fassade der Balkonbrüstung ist an mehreren Stellen abgebröckelt. Paul stellt sich hinter sie und umarmt ihren Bauch. »Bis ins 18. Jahrhundert gab es keine Brücken zwischen Buda und Pest. Dann starb hier der König, und sein Sohn konnte drei Tage nicht über die Donau setzen, weil es Winter war und der Eisgang das nicht zuließ. Da hat er geschworen, eine Brücke zu bauen, und hat Wort gehalten. Siehst du dort, die übernächste, das ist die Kettenbrücke, die älteste der Stadt.« Er legt sein Kinn auf ihre Schulter, und sie weiß, wie er jetzt aussieht, wie sein Blick zufrieden über die Stadt geht.
    »Wo sind wir?«, fragt sie.
    »Wie, wo sind wir?«
    »In Buda oder in Pest?«
    »Na in Buda, sieh, da hinter dem Berg müsste die Burg sein, und da drüben ist das Parlament, meine Güte, du hast ja wirklich überhaupt keine Ahnung.«
    »Das habe ich dir doch gesagt. Aber du willst mir ja nicht glauben. Ich konnte mir das nie merken, wo jetzt Buda ist und wo Pest«, antwortet sie und geht wieder hinein. So ein Zimmer muss das gewesen sein, aber nichts erinnert sie an diese Nacht damals. Nicht der abgewetzte braune Teppich oder die Holztüren des in die Wand eingebauten Schrankes oder die gelblichen Fliesen im Bad. »Ich habe extra ein unrenoviertes Zimmer genommen«, sagt Paul zufrieden. »Das ist wenigstens immer noch ordentlich ostig.«
    »Ich habe dich nicht darum gebeten«, sagt sie. Paul deutet mit der Hand auf ein scheußliches Blumenbild an der vergilbten Tapetenwand und auf die Rüschengardine vor der Balkontür: »Wenn dich hier irgendwas stört, ich häng es ab. Wir können sicher ein bisschen umdekorieren.«
    Astrid registriert zufrieden, dass auf dem breiten Bett eine durchgehende Matratze liegt und dass diese auch die nötige Festigkeit aufweist. Nicht zwei weiche, durchgelegene Dinger, wie sie vermutet hatte. Mit einer Ritze in der Mitte. Sie sieht den Himmel mit fein gewobenen Wolken über der Donau unter dem Fenster, die natürlich vom Bett aus nicht zu sehen ist. Paul ist ins Bad gegangen, und sie spürt ihn noch in sich, wie er auf ihr liegt und sein Schwanz langsam kleiner wird in ihr. Sie kann seinen Körper noch riechen. Die Dusche wird aufgedreht, und sie ruft laut: »Na, ist das Wasser warm, oder müssen wir das erst beim freundlichen Portier bestellen gegen ein bisschen Trinkgeld?«
    »Alles bestens, Prinzessin. Wirst schon sehen, das wird dir gefallen hier in Hungaria.«
    »Na, ich weiß noch nicht. Ins Mineralbad werden wir es jetzt nicht mehr schaffen. Weil das ja um Punkt 19.30 Uhr schließt und die Bademeister nach Hause müssen. Wäre natürlich auch zu schön, wenn die Gäste hier baden könnten, solange sie wollen.«
    »Ach, komm schon, hör auf zu nörgeln. Ich lade dich jetzt zum Essen ein. Schön Pörkölt irgendwo, mit Klößen.«
    »Das hätten wir auch in Wien essen können. Außerdem weiß ich erst durch dich, dass das Gulasch heißt.«
    Sie fahren in den ersten Stock und machen sich auf die Suche nach dem Hotelrestaurant. Mehrere Räume stehen zur Auswahl, und ein blau gekleideter Kellner erklärt ihnen: »Hier sitzt eine Reisegruppe aus Moskau, und dort drüben ist unser Restaurant, in dem Sie auch à la carte essen können.« Er sagt das mit diesem schönen knödelnden ungarischen Akzent, und Astrid lacht, als er schnell weiter seines Weges geht. Sie greift nach Pauls Arm, drückt sich an ihn und sagt: »Möchte ich gern zu russisch Reisegrupp. Vielleicht wir finden dort Brieffreundin für dich!«
    Paul zieht sie weiter Richtung Restaurant, und sie bleiben in der Eingangstür stehen. Ein großer Raum mit weiß gedeckten Tischen. Hohe Säulen trennen Separees ab, und ein Kellner, im gleichen Anzug wie der eben, läuft übertrieben schnell zwischen den wenigen besetzten
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