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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen
Autoren: Laura Lippman
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Schwestern, die zusammen … ins Kino gegangen waren? Oder war es die Mall gewesen? Sie sah ihre Ähnlichkeit – die Ältere mit strengem Pferdeschwanz, die Kleinere mit Rattenschwänzen -, erinnerte sich an die Panik, die in der Stadt umging; wie allen Kindern gepredigt wurde aufzupassen. Mädchen, passt auf und Jungs, passt auf . Es hatte Jahre gedauert, bis Kay die Andeutungen und Warnungen verstanden hatte: Sally war mit fremden Jungs zu einer Strandparty gegangen. Später fand man sie barfuß und völlig verwirrt auf dem Highway wieder … Jimmys Eltern hatten ihm gesagt, dass er nichts dafür könne, dass Greg sich mit ihm angefreundet und ihn zum Angeln mitgenommen habe, aber sie ließen keinen Zweifel daran, dass diese Art von Freundschaft mit älteren Männern nicht normal war … Sie stieg in das Auto des Fremden und ward nie mehr gesehen.
    Es gab auch Gerüchte – man wollte beispielsweise die beiden Mädchen in Georgia gesehen haben, von falschen Lösegeldforderungen war die Rede, von Sekten und Linksradikalen. Schließlich war es gerade erst ein Jahr her, dass Patty Hearst entführt worden war. In den siebziger Jahren waren Entführungen an der Tagesordnung gewesen. Die Frau eines Geschäftsmannes war für hunderttausend Dollar freigelassen worden, was damals ein Riesenvermögen gewesen sein musste; ein reiches Mädchen war mit einer Atemmaske in einer Kiste begraben, dem Getty-Erben das Ohr abgetrennt worden. Aber die Bethanys waren nicht vermögend gewesen, nicht, soweit sich Kay erinnern konnte, und je länger die Geschichte ohne offizielles Ende blieb, desto weniger erinnerungswürdig erschien sie. Das letzte Mal, dass Kay an die Bethany-Schwestern gedacht hatte, war wahrscheinlich beim letzten Kinobesuch am Security Square. Und das war mindestens zehn Jahre her. Genau, das war’s – das Einkaufszentrum
am Security Square, damals noch ziemlich neu, jetzt eine Geisterstadt.
    »Sind Sie …?«
    »Besorgen Sie mir einen Anwalt, Kay. Einen guten.«

Kapitel 4
    Infante fuhr quer durch die Stadt zum Krankenhaus. Also wirklich, Baltimore City wurde immer schnieker. Wer hätte das gedacht? Er bereute beinahe, dass er sich vor zehn Jahren nichts in der Innenstadt gekauft hatte, nicht dass es ihm jetzt noch gehören würde. Außerdem war er in einem Vorort aufgewachsen – in Massapequa auf Long Island – und mochte Parkville, wo er jetzt wohnte. IHOP, Applebee’s, Fast-Food-Restaurants, Supermärkte, Toys»R«Us, Tankstellen, Baumärkte – alles war da; hier fühlte er sich wie zu Hause. Er hatte sowieso nie vorgehabt, wieder nach Long Island zurückzukehren, wo man vom Gehalt eines Polizeibeamten nur schwerlich leben konnte. Zwar blieb er den Yankees treu und mimte zur Erheiterung seiner Kollegen den draufgängerischen New Yorker. Aber sein Verstand sagte ihm, dass Baltimore die richtige Stadt für ihn war, dass dieser Job zu ihm passte. Er machte seine Arbeit gut und hatte eine der höchsten Aufklärungsraten im Morddezernat vorzuweisen. »Baltimore-Slang ist meine Zweitsprache«, sagte er gern. Lenhardt wollte, dass er die Prüfung zum Sergeant machte, aber die Leute wollten ja immer, dass man das machte, was sie gemacht hatten. Werde Feuerwehrmann auf Long Island , hatte sein Vater gesagt. Infantes erste Ehefrau hatte immer gebettelt: Komm schon, lass uns zusammen Law & Order gucken . Ihre Lieblingssendung sollte auch seine Lieblingssendung sein, ihre Leibspeise seine. Sie hatte sogar versucht, ihn als eingeschworenen Bud-Trinker zu Rolling Rock zu überreden. Es schien fast, als wollte sie im Nachhinein Gemeinsamkeiten
herstellen, wo doch von Anfang an nur Leidenschaftlichkeit und Sex sie verbanden. Insofern fühlte sich Infante an die Highschool zurückerinnert. Damals war er es gewesen, der sich etwas schönredete. Er entschied sich für ein College – das Nassau Community College, nicht gerade eine Kaderschmiede, aber das Einzige, was sie sich leisten konnten – und fütterte der Studienberaterin dann die entsprechenden Daten in den Computer, sodass das gewünschte College ausgespuckt wurde. Auf diese Art und Weise war die einzige Möglichkeit, überhaupt zu studieren, etwas ganz Besonderes für ihn geworden.
    Er trat aufs Gas und war in weniger als vierzig Minuten da. Aber das dicke Ende kam erst noch. Gloria Bustamante – die schlimmste Beißzange unter den Strafverteidigern, männlich wie weiblich, hetero wie homo – erwartete ihn bereits im Krankenhausflur.
    Verflucht .
    »Du stehst da
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