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Das Glücksbüro

Das Glücksbüro

Titel: Das Glücksbüro
Autoren: Andreas Izquierdo
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1.
    Neuerdings hatte Albert seine besten Ideen, wenn er nachts ganz alleine, beim Schein einer Kerze, in der riesigen Kantine zu Abend aß und die Schatten der Tische und Stühle aussahen, als würden sie im Geflacker auf spindeldürren Beinen herumtanzen. Dann war es ganz still im Haus, und bei einem Glas Kochwein plante er den nächsten Tag, der immer mit einem Geburtstag anfing, mit Mayonnaise, einem Gläschen Sekt und vielen guten Wünschen.
    Er hatte in der gewaltigen Küche einen der Bräter geöffnet, in dem man sonst fünfzig oder sechzig Schnitzel auf einmal brutzeln konnte und in dem jetzt zwei Eier auf ein wenig heißem Öl zuckten. Mit einem viel zu großen Schaber hob er die gelben Glupschaugen aus dem Bräter und legte sie vorsichtig auf zwei Brotscheiben, die bereits mit Schinken und Käse bedeckt waren, als ihn sein kleiner Einfall lächeln ließ. Nichts Besonderes, eine Kobolterie, im Grunde genommen eines Mannes wie Albert völlig unwürdig, aber auch ein kleiner Stein, den man in ein stilles Gewässer warf, konnte große Kreise ziehen.
    Und das Amt war ein stilles Gewässer.
    So still, dass ein Außenstehender ein Leben lang darin angeln konnte, ohne je etwas zu fangen, obwohl es Tausende von Fischen darin gab. Man blickte auf den See und sah: nichts. Er war tief und voller Geheimnisse, ja sogar Magie, aber es nützte nichts, wenn man nicht den richtigen Köder hatte, um ihm all seine Reichtümer zu entlocken.
    An jenem Abend also hatte er diese kleine Idee, aß mit diebischer Freude und großem Appetit den Strammen Max und blickte munter kauend um sich: Eine leere Kantine hatte für gewöhnlich etwas Deprimierendes an sich, so wie ein leerer Swimmingpool. Albert jedoch war ganz und gar kein gewöhnlicher Mensch, auch wenn dies nur wenige vermutet hätten, denn die, die ihn kannten, beschrieben ihn meist als irgendwie … grau. Was weniger an seinem dichten Haar lag, sondern eher an seiner gesamten Erscheinung: Er sah immer ein wenig blass aus, sein Anzug war auch irgendwie grau, obwohl das nicht ganz stimmte, denn eigentlich hatte er gar keine bestimmbare Farbe. Nur die Schuhe waren schwarz und immer blank poliert. Die einzige wirkliche Farbe, die an ihm selbst auszumachen war, war das Dunkelbraun seiner Augen, das so ganz im Widerspruch zu seiner äußeren Erscheinung stand. Darin schimmerten eine Tiefe und eine Warmherzigkeit, mit denen man nicht gerechnet hätte.
    Um diese Uhrzeit war nur noch selten jemand im Amt, da es nur selten jemanden gab, der Überstunden machte. Es gab auch keinen Grund für Überstunden, denn im Amt für Verwaltungsangelegenheiten waren alle Dienstvorschriften, Verordnungen, Beihilfeangelegenheiten und Apostillen nur während der Dienstzeiten wirksam, sie gingen schlafen, wenn die vielen Beamten das Haus verließen, und erwachten, wenn sie morgens zurückkehrten.
    Man konnte sagen, dass das Amt für Verwaltungsangelegenheiten so etwas wie die ›Mutter aller Verwaltungen‹ war. Ein gewaltiger, höchst autarker Komplex, der völlig losgelöst von der übrigen Menschheit wie der Mond um die Erde kreiste und ähnlich häufig Besuch bekam. Und trat dann mal ein Fremder ein, so konnte dieser sich schnell verirren, denn die vielen Stockwerke, Flure und Gänge, Treppen und Türen, hinter denen rätselhafte Referate und Zuständigkeiten lauerten, die sich mit noch rätselhafteren Kürzeln tarnten, sahen alle gleich aus, und nicht wenige landeten nach stundenlanger Suche wieder dort, wo sie mal angefangen hatten. Ein Irrgarten, der die Wichtigkeit des Amtes noch einmal unterstrich, denn etwas, das so kompliziert war, musste … na ja, enorm wichtig sein.
    Für Albert war es das Paradies.
    Das Amt war wie eine Familie, nur ohne störende Verwandtschaft. Eine Burg, wehrhaft besetzt von Tausenden, in der man ganz geschützt ganz alleine sein konnte. Während die Welt draußen immer größer, komplizierter und chaotischer geworden war, war sie hier drinnen immer noch überschaubar, ordentlich und sehr gemütlich. Ein Ort der Geborgenheit, den Albert sehr schätzte, weil er im Umgang mit Menschen zuweilen ziemlich ratlos war. Denn sie neigten dazu, einander das Leben zur Hölle zu machen, dabei war es eigentlich ganz leicht, das zu vermeiden! Der Trick war, sein eigenes Spielfeld nicht zu groß zu machen. Sich mit seinem Raum zu bescheiden. Verglich man es mit Fußball, waren für Albert nicht die Spieler das Wichtigste, nicht der Ball, der Schiedsrichter, die Trikots oder die
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