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Was die Seele krank macht und was sie heilt

Was die Seele krank macht und was sie heilt

Titel: Was die Seele krank macht und was sie heilt
Autoren: Thomas Schäfer
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Menge von Elementen, zwischen denen bestimmte Beziehungen bestehen. Jede Veränderung eines Elements hat automatisch auch eine Wirkung auf die anderen Elemente. Jeder Mensch ist Teil eines Familiensystems und damit eines Beziehungszusammenhanges. Dadurch hat er Anteil an den Problemen der anderen Familienmitglieder, gleichgültig, ob ihm das bewußt ist oder nicht.
    Ein Beispiel: Wenn ein Ehemann seine Frau und seine Kinder mit der Begründung »Ihr seid mir zu langweilig! Ich verlasse euch, weil ich mich erst einmal verwirklichen will« verläßt, mag er von der Richtigkeit seiner Ansicht überzeugt sein. Die Vorstellung, daß Frau und Kinder ihn binden, kann er als »altmodische und hemmende Vorstellung« aus seinem Kopf verbannen und durch Vorstellungen von absoluter Freiheit ersetzen. Doch die Bindung des Mannes an die Familie existiert objektiv weiter, was man als neutraler Beobachter ohne weiteres feststellen kann: Wenn sich jemand leichtfertig von der Familie trennt und nicht mehr für sie sorgt, stirbt nicht selten ein Kind an einer schweren Krankheit, bringt sich um oder entwickelt ein chronisches Leiden. Außerdem wird der Mann wahrscheinlich keine langfristige befriedigende Partnerschaft mehr eingehen können. Eine solch leichtfertige Trennung wird im System als Verbrechen erlebt und hat entsprechende Konsequenzen. Das von vielen Therapeuten vertretene Credo der Selbstverwirklichung hat Hellinger wegen seiner Auswirkungen auf die anderen energisch kritisiert. Er erwähnt als Beispiel das »Gestaltgebet« des Gestalttherapeuten Fritz Perls, eines Vertreters der humanistischen Psychologie. Sinngemäß lautet es: »Ich mache meine Sache, du machst deine Sache. Wie es dir dann geht, ist nicht mehr meine Sache. Ich gehe meinen Weg.« Hellingers Kommentar dazu: »Hier werden Bindungen verleugnet, und anderen werden die Kosten aufgebürdet. Ich nenne diese Selbstverwirklicher Psychokapitalisten übelster Sorte.« (AWI: 129) Im Gegensatz zu der »Konstruktion der Wirklichkeit«, die jenem verhängnisvollen Credo Vorschub leistet, vertritt Hellinger die »Wahrnehmung der Ordnung«. Was »Ordnung« ist, wird uns in diesem Buch noch häufig beschäftigen. Schon jetzt sei gesagt, daß sie nicht mit landläufigen Vorstellungen verwechselt werden darf.
    Anders als die meisten psychotherapeutischen Richtungen kümmert sich Hellinger nicht um die theoretische Begründung seiner Arbeit. Immer wieder betont er, daß er keine »Lehre« oder Theorie geschaffen habe, sondern daß er Phänomenologe sei. Er schaut auf das, was ist, statt sich mit den Vorstellungen und Interpretationen des Klienten zu beschäftigen oder selbst Theorien zu entwickeln. Das, was ist, stellt aber keine objektive Wahrheit oder ein unumstößliches Gesetz dar, sagt Hellinger, sondern lebendige Wirklichkeit; es ist etwas Schöpferisches.
    Hellinger unterscheidet auch Beobachten und Wahrnehmen. Beobachtungen führen zu Teilkenntnissen unter Verlust der Gesamtschau. Wenn man das Verhalten eines Menschen beobachtet, sieht man nur Einzelheiten. Wenn ich mich dagegen der Wahrnehmung aussetze, entgehen mir Details, doch ich erfasse sofort das Wesentliche, den Kern, und zwar im Dienste des anderen. Vielleicht kann das ein Beispiel erläutern. Als Kind war ich davon fasziniert, was geschieht, wenn man sich im Dunkeln auf ein winziges Licht konzentriert. Was passiert? Man sieht es nicht! Erst wenn man sich ein wenig entspannt und erweitert schaut, können die Augen es deutlich wahrnehmen.
    Die von Hellinger beschriebene Form von Wahrnehmung ist nur möglich, wenn man sich dem Klienten absichtslos und mit der Bereitschaft zur Beziehung zuwendet. Dann entsteht eine innige Verbindung, die mit höchster Achtung, aber auch mit Distanz verbunden ist. Wer Bert Hellinger bei der Aufstellung von Gegenwarts- oder Herkunftsfamilien zuschaut, wird eingestehen müssen, daß Liebe, Achtung, aber auch Distanz bei ihm immer zugegen sind.
    Wenn Hellinger bestimmte Zusammenhänge erklärt, wird ihm oft Dogmatismus vorgeworfen. Doch wenn man ihm genau zuhört, wird deutlich, daß es ihm nicht um das Festzurren von einengenden Regeln geht. Wenn in einem Seminar die Frage gestellt wird: »Ist die Dynamik bei dieser Krankheit immer so, wie Sie es hier schildern?«, antwortet er oft: »Ob das in allen Fällen so ist, weiß ich nicht, doch bislang habe ich diesen Zusammenhang immer wieder feststellen können. Wenn Sie oder ich neue Wahrnehmungen machen, wird man erneut darüber
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