Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was die Seele krank macht und was sie heilt

Was die Seele krank macht und was sie heilt

Titel: Was die Seele krank macht und was sie heilt
Autoren: Thomas Schäfer
Vom Netzwerk:
Wenn solche ausgeschlossenen Personen wieder gewürdigt werden, braucht sich niemand mehr mit ihnen unbewußt zu identifizieren, ja sie werden sogar zum Segen. Hat der Klient sich mit einem auf diese Weise Verachteten bereits identifiziert, kommt er meist am Schluß der Aufstellung an den Platz seines bisherigen Stellvertreters und kann spüren, wie er sich in der Familie fühlt. Je nach Situation kann er zu dem toten Onkel sagen: »Ich gebe dir die Ehre. In meinem Herzen hast du einen Platz. Bitte segne mich, auch wenn ich bleibe.« Manch einer tut sich schwer, solche Sätze nicht nur mit der Zunge, sondern auch mit dem Herzen zu sagen. Darauf zu achten und den Ernst der Situation zu wahren ist Aufgabe des Therapeuten. Wenn ein solcher Satz bei dem Empfänger nicht richtig ankommt, sagt dieser Stellvertreter das häufig auch. Und wenn der Therapeut merkt, daß der Klient das Ganze nur als Spiel auffaßt, bricht er sofort ab. Ohne den nötigen Ernst aller Beteiligten muß die Aufstellung beendet werden, denn bei dieser Arbeit geht es nicht nur um Gesundheit und Krankheit, sondern oft buchstäblich um Leben und Tod, wie zum Beispiel bei Krebskranken. Trotzdem - oder gerade deswegen! - wird in Hellinger-Seminaren sehr viel gelacht. Der tiefe Ernst und die oft unerträgliche Spannung müssen sich von Zeit zu Zeit entladen. Bert Hellinger versteht es prächtig, in den Pausen zwischen zwei Aufstellungen die Situation durch einen Witz zu entspannen. Es ist fast wie in den Dramen von Shakespeare, in denen das Ernste und Schwere plötzlich durch etwas Heiteres abgelöst wird.
    Wenn in der Aufstellung die Lösung gelingt, wird sie jenseits aller therapeutischen Einflußnahmen als Geschenk erlebt - Hellinger spricht hier von »Gnade«. Der Therapeut »verhilft« dabei nur der verborgenen Liebe ans Licht. Wie sich der Klient an dieser Weggabelung entscheidet, ist nicht seine Sache. Dafür trägt allein der Klient die Verantwortung. Der Therapeut weiß letztlich nicht, was für den Klienten besser oder schlechter ist.
    Bert Hellinger hat sich die Aufgabe gestellt, den Klienten mit den heilenden Kräften aus seiner Familie in Berührung zu bringen. Für ihn ist das nicht nur Therapie, sondern letztlich ein Dienst an der Versöhnung. In diesem Sinne sieht er sich auch als Seelsorger. Ein Therapeut dagegen ist jemand, der glaubt, er habe die Dinge im Griff. Hellingers Verständnis von Schicksal läßt ihn sich angesichts der in Familien wirkenden Kräfte als sehr klein erleben. Zu »machen« und zu entscheiden findet er anmaßend.

Leiden ist leichter als Handeln

    Vielen Klienten, die oft lebensbedrohlich erkrankt sind, fällt es schwer, die innere Haltung einzunehmen und die Lösungssätze zu sagen, die der Therapeut vorgibt. Aus Hellingers Sicht ist Leiden leichter als Handeln. In der Seele existiert nämlich ein magisches Denken, das eine bestimmte Vorstellung von Liebe hat: »Liebe heißt, ich werde wie« oder »ich mache es wie meine Eltern«. Ihrem Schicksal folgen, das ist meine Liebe als Kind. Und es gibt die »geheime Vorstellung, daß durch Leiden und Sterben der andere gerettet wird, daß es ihm bessergeht, selbst wenn er tot ist«. Das ist magisches Denken, aber auch naives Denken, denn man braucht nicht zu handeln. Man überläßt sich einfach dem Schicksal, und alles Heil erwächst aus dem Unglück. Die Lösung dagegen verlangt Kraft und Handeln: »Ich bleibe, und ich traue euch zu, daß ihr mich segnet, auch wenn ich bleibe.« Im Vergleich zum magischen Denken ist dies ein religiöses Tun im tiefsten Sinne: Man verzichtet auf die Vorstellung, daß das eigene Leiden irgendeine Art von erlösender Macht hätte, und gibt sich der Welt mit ihren Grenzen hin, wie sie ist. (FS: 81)
    Wenn ich an das Glück denke, das Leiden verursacht, fällt mir eine junge Frau ein, die zu einem Gespräch kam. »Ich habe so gut wie kein Geld und werde ein zweites Mal wohl nicht zu Ihnen kommen können«, begrüßte sie mich. Sie hatte mehrere Selbstmordversuche hinter sich, und während sie davon erzählte, strahlte sie über das ganze Gesicht. Wenn man sie anschaute, konnte man denken, sie spreche von einem Lottogewinn oder von einem Traumprinzen, der in ihr Leben getreten ist. Doch tatsächlich redete sie davon, daß sie völlig depressiv sei, keine Lust zu leben besäße, zehn Jahre Psychotherapie und Aufenthalte in psychosomatischen Kliniken hinter sich habe und alles »zum Kotzen« fände - doch es war unübersehbar, wie sie dabei
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher