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Warte auf das letzte Jahr

Warte auf das letzte Jahr

Titel: Warte auf das letzte Jahr
Autoren: Philip K. Dick
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1
     
    Das apterixförmige Gebäude, das ihm so vertraut war, verbreitete wie gewöhnlich rauchiges graues Licht, als Eric Sweetscent sein Rad zusammenklappte und es in den winzigen Verschlag schob, der ihm zugeteilt worden war. Acht Uhr morgens, dachte er verdrossen. Und sein Chef, Mr. Virgil L. Ackerman, hatte die Büros der TF&D Corporation bereits geöffnet. Man stelle sich vor, sinnierte Dr. Sweetscent, daß ein Mensch schon um acht Uhr früh völlig klar denken kann. Das verstößt gegen die göttliche Ordnung. Eine schöne Welt, die man uns da vorgesetzt hat; der Krieg entschuldigt jede menschliche Verirrung – sogar die des alten Mannes.
    Nichtsdestoweniger steuerte er auf den Eingang zu – nur um gleich darauf wieder anzuhalten, als jemand seinen Namen rief. »Hallo, Mr. Sweetscent! Einen Moment bitte, Sir!« Die näselnde und ausgesprochen widerwärtige – Stimme einer Robameise; Eric blieb verdrossen stehen, und dann erreichte ihn auch schon die Maschine mit beflissen rotierenden Armen und Beinen. »Mr. Sweetscent von der Tijuana Fur & Dye Corporation?«
    »Ich bin Dr. Sweetscent«, bestätigte er gelangweilt.
    »Ich habe hier eine Rechnung für Sie, Doktor.« Die Maschine zog ein zusammengefaltetes weißes Stück Papier aus ihrer Metalltasche. »Ihre Frau, Mrs. Katherine Sweetscent, hat dies hier vor drei Monaten während ihres Traumland-für-alle-Urlaubs auf die Rechnung setzen lassen. Fünfundsechzig Dollar und eine Bearbeitungsgebühr von sechzehn Prozent. Sie kennen ja die Vorschriften. Es tut mir leid, daß ich Sie belästigen muß, aber es ist, äh, illegal.« Sie beobachtete ihn wachsam, während er mit äußerstem Widerwillen nach seinem Scheckbuch griff.
    »Was hat sie denn gekauft?« fragte er düster, während er den Scheck ausschrieb.
    »Eine Lucky-Strike-Packung, Doktor. In der historisch authentischen grünen Version von 1940, noch bevor man während des Zweiten Weltkrieges die Packung änderte. ›Lucky Strike in Grün ist in den Krieg gezogen‹, Sie kennen den Spruch ja.« Sie kicherte.
    Er konnte es nicht glauben; irgend etwas stimmte nicht. »Aber das müßte doch der Gesellschaft in Rechnung gestellt werden«, protestierte er.
    »Nein, Doktor«, erklärte die Robameise. »Es war Mrs. Sweetscents freier Entschluß. Sie hat darauf bestanden, die Ware zu ihrer persönlichen Verwendung zu behalten.« Und dann fügte sie noch eine Erklärung hinzu, die er sofort als falsch erkannte. Aber ob nun die Robameise oder Kathy sie erfunden hatte – das konnte er nicht sagen, zumindest nicht in diesem Augenblick. »Mrs. Sweetscent«, bemerkte die Robameise salbungsvoll, »baut an einem 39er Pitts.«
    »Den Teufel wird Sie tun.« Er warf der Robameise den ausgefüllten Scheck zu, und als sie nach dem davonflatternden Papierstück griff, ging er weiter in Richtung Eingang.
    Eine Lucky-Strike-Packung. Nun, dachte er grimmig, mit Kathy ist es also wieder soweit. Ihr Schöpferdrang, den sie nur überwinden kann, indem sie ihm nachgibt. Und natürlich niemals ihr eigenes Gehalt damit belastet – das, wie er zugeben mußte, sehr viel höher war als sein eigenes. Doch wie dem auch sei, warum hatte sie ihm nichts davon gesagt? Eine Ausgabe in dieser Höhe …
    Die Antwort war natürlich offensichtlich. Die Rechnung allein enthüllte das Problem in all seiner deprimierenden Einfachheit. Vor fünfzehn Jahren, dachte er, hätte ich behauptet – und habe es sogar –, daß mein und Kathys Einkommen zusammengelegt ausreichen würde und gewiß auch ausreichen müßte, zwei halbwegs verantwortungsbewußten Erwachsenen einen vernünftigen Lebensstandard zu verschaffen. Selbst wenn man die kriegsbedingte Inflation mit einbezieht.
    Nun, es hatte nicht funktioniert. Und er hatte das sichere Gefühl, daß es niemals funktionieren würde.
     
    Im TF&D-Gebäude nahm er den Gang, der zu seinem Büro führte, und unterdrückte den Impuls, Kathys Büro einen kurzen Besuch abzustatten und die Angelegenheit sofort zu klären. Später, entschied er. Nach der Arbeit, vielleicht beim Abendessen. Gott, und sein Terminplan ließ ihm kaum noch Luft; er besaß nicht die Kraft – und hatte sie auch in der Vergangenheit nicht besessen –, diese endlosen Zankereien durchzustehen.
    »Guten Morgen, Doktor.«
    »Hallo«, sagte Eric und nickte Miss Perth, seiner Sekretärin, zu; diesmal hatte sie sich die Haut hellblau gefärbt, und in dem blauen Sprayfilm waren Glitzerkörner eingelassen, die das Licht der Deckenlampen
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