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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
Autoren: Sándor Márai
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Leben, während eines Augenblicks, habe ich ihn von einer anderen Seite gesehen. Ich meine den Moment, als das Kind geboren war und dieser bleiche, traurige, einsame Mann ins Zimmer gelassen wurde. Er trat verlegen ein, als befürchtete er eine allzu menschliche, irgendwie peinliche Szene. Er blieb vor der Wiege stehen, beugte sich unsicher vor, wie es seine Gewohnheit war, die Arme auf dem Rücken verschränkt, äußerst behutsam. Ich war sehr müde, aber ich beobachtete ihn genau. Er beugte sich über die Wiege, und da erhellte sich für einen Augenblick das bleiche Gesicht, wie von innen erleuchtet. Aber er sagte nichts, sondern blickte lange und reglos auf das Kind, vielleicht zwanzig Minuten lang. Dann trat er zu mir, legte mir die Hand auf die Stirn und blieb wortlos so stehen. Er schaute mich nicht an, sondern starrte zum Fenster hinaus. Der Kleine war an einem nebligen Oktobermorgen zur Welt gekommen. Eine Zeitlang stand mein Mann noch an meinem Bett und strich mir mit heißer Hand über die Stirn. Dann begann er mit dem Arzt zu reden, als wäre die Sache nunmehr erledigt, so daß man zu anderem übergehen konnte.
    Aber jetzt weiß ich, daß er in dem Augenblick, vielleicht das erste und das letzte Mal in seinem Leben, glücklich war. Vielleicht war er sogar bereit, etwas von dem Geheimnis preiszugeben, das er Menschenwürde nannte. Solange das Kind lebte, redete er anders mit mir, vertraulicher. Ich spürte zwar, daß ich immer noch nicht ganz zu ihm gehörte, daß dieser Mann mit sich rang, daß er einen inneren Widerstand, das merkwürdige Geflecht aus Hochmut, Angst, Kränkung und Mißtrauen zu überwinden suchte, weil es ihn hinderte, so zu sein wie andere Menschen. Um des Kindes willen wäre er bereit gewesen, sich mit der Welt zu versöhnen … Bis zu einem gewissen Grad. Für eine gewisse Zeit. Solange das Kind lebte, beobachtete ich mit wilder Hoffnung, wie dieser Mann mit seinem Charakter kämpfte. Wie ein Dompteur mit einem wilden Tier. Dieser wortkarge, stolze, traurige Mann bemühte sich, vertrauensvoll, bescheiden und demütig zu sein. Zum Beispiel brachte er Geschenke heim, kleine Geschenke. Es war zum Weinen. Denn er hatte eigentlich Hemmungen, Kleinigkeiten zu schenken. An Weihnachten und zum Geburtstag bekam ich von ihm immer etwas Edles, Kostspieliges, eine schöne Reise, einen Pelz, ein neues Auto, Juwelen … Nie aber war es so, wie ich es gern gehabt hätte, daß er einfach für zwanzig Fillér gebratene Kastanien mitbrachte. Verstehst du? … Oder Kandiszucker, oder was weiß ich. Jetzt aber war es so. Er war sehr großzügig, es mußte der beste Arzt, das schönste Kinderzimmer her, und auch diesen Ring habe ich damals von ihm bekommen … Ja, er ist wertvoll … Aber es kam auch vor, daß er mit verlegenem Lächeln ein feingehäkeltes Kinderjäckchen und ein Mützchen aus dem Seidenpapier wickelte. Er legte die Sachen auf den Kinderzimmertisch, lächelte schuldbewußt und ging rasch hinaus.
    Wie gesagt, in solchen Augenblicken hätte ich weinen mögen. Vor Freude, voller Hoffnung. Und noch aus einem anderen Gefühl: aus Angst. Daß er es nicht schaffen würde, daß er den Kampf mit sich selbst nicht gewinnen könnte, daß wir es alle nicht schaffen würden, er nicht, das Kind nicht und ich auch nicht … etwas stimmte nicht. Aber was? … Ich betete, ging in die Kirche. Gott, hilf uns! sagte ich. Aber Gott weiß, daß nur wir selbst uns helfen können.
    Das war sein ganz eigener Kampf, solange das Kind lebte.
    Siehst du, jetzt bist du auch schon beunruhigt. Du fragst, was mit uns los war, was das für ein Mann war … Schwierige Frage, Liebes. Ich habe mir acht Jahre lang den Kopf darüber zerbrochen. Und auch seit wir geschieden sind, denke ich darüber nach. Manchmal meine ich die Antwort zu kennen. Doch jede Theorie ist verdächtig. Ich kann dir nur die Symptome schildern.
    Du fragst, ob er mich geliebt habe … Ja, schon. Aber im Grunde glaube ich, daß er nur seinen Vater und sein Kind geliebt hat.
    Zu seinem Vater war er zuvorkommend und ehrerbietig. Er besuchte ihn jede Woche. Meine Schwiegermutter aß einmal wöchentlich bei uns zu Mittag. Schwiegermutter, übles Wort! Diese Frau, die Mutter meines Mannes, war eins der vornehmsten Wesen, denen ich je begegnet bin. Als mein Schwiegervater starb und diese reiche, stolze Frau in der großen Wohnung allein blieb, da fürchtete ich, sie würde uns zur Belastung werden. Man ist voller Vorurteile. Denn diese Frau war rücksichtsvoll
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