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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
Autoren: Sándor Márai
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wenn wir ein Buch über die Griechen läsen? Angeblich gibt es hier eine Bibliothek, dort, wo der Papst wohnt. Schau nicht so beleidigt drein. Der Saxophonist hat gesagt, er gehe zum Lesen dorthin. Na klar, mein Süßer, der schneidet bloß auf. In Wirklichkeit liest er nur Krimis. Aber vielleicht gibt es ja hier trotzdem Bibliotheken, in denen sie Bücher haben, wo man nachlesen könnte, auf welche Art in Griechenland, und dann auch anderswo, die Kultur aufgehört hat. Denn weißt du, jetzt gibt es nur noch Fachleute. Und die vermögen offenbar die Freude nicht mehr zu vermitteln. Das interessiert dich nicht? Na gut, ich will dich nicht plagen. Das Allerwichtigste ist, daß du gut gelaunt und zufrieden bist. Ich will dir nicht mehr mit so verrückten Ideen kommen.
    Was schielst du so? Ich seh’s deiner Nasenspitze an, daß du mir nicht glaubst. Du hast den Verdacht, mich interessiere in Wirklichkeit gar nicht die griechische Kultur, sondern die Frage, warum jener Mensch gestorben ist.
    Was bist du für ein Schlauer. Ja, ich gebe es zu, ich möchte in einem Buch lesen, wie das ist, wenn eines Tages die Kultiviertheit eines Menschen zu zerfallen beginnt. Wie seine Nerven verkümmern, in denen vieles, was frühere Menschen gedacht haben, weiterlebte, so daß er sich zuweilen daran erinnerte und das Gefühl hatte, noch auf andere Art lebendig zu sein als nur wie ein Säugetier. Wahrscheinlich stirbt ein solcher Mensch nicht separat. Sondern es stirbt vieles mit ihm. Du glaubst das nicht? Ich weiß nicht, ob es so ist, aber ich würde gern ein Buch darüber lesen.
    Es heißt, auch hier in Rom habe es einmal die Kultur gegeben. Sogar die Leute seien kultiviert gewesen, die weder schreiben noch lesen konnten und bloß auf dem Markt saßen und Kürbiskerne knabberten. Sie waren schmutzig, doch dann gingen sie ins öffentliche Bad und redeten dort über höhere Dinge. Meinst du, es könnte sein, daß dieser verrückte Mensch deswegen hierhergekommen ist? Daß er hier sterben wollte? Weil er wußte, daß alles, was je Kultur genannt werden konnte, vorbei war? Und da kam er hierher, wo alles schon mehr oder weniger ein Abfallhaufen ist. Wo aber doch noch etwas von der Kultur herausguckt. So wie auf dem Vérmező in Budapest die gelben Füße der Toten aus ihren eilig aufgeworfenen Gräbern. Ist er vielleicht deswegen gekommen? In diese Stadt, in dieses Hotel? Weil er wollte, daß im Augenblick seines Todes doch noch ein Hauch von Kultur um ihn sei?
    Ja, er ist hier gestorben, in diesem Zimmer. Ich habe den Portier gefragt. Bist du jetzt zufrieden, daß du auch das noch weißt? Da bitte, auch das schenke ich dir. Jetzt habe ich nichts mehr. Den Schmuck hast du gut versteckt, nicht wahr? Du bist mein Wohltäter, mein Engel.
    Du, bestimmt hat er, als er starb – in diesem Bett ist er gestorben, so hat es der Portier gesagt, ja, hier in diesem Bett, wo du jetzt liegst –, bestimmt hat er gedacht: »Na endlich.« Und gelächelt. Diese Andersartigen, Seltsamen, die lächeln am Ende immer.
    Warte, ich will dich zudecken.
    Schläfst du, mein Goldjunge?
    Posillipo, 1949   –   Salerno, 1978
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