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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
Autoren: Sándor Márai
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Wörter, die von fernher, von sehr weit weg, sich hierher verirrt hatten. Bis dahin hatte ich nie darüber nachgedacht, daß ich Ungarin war. Obwohl ich das wirklich bin, ich schwör’s dir, alle meine Ahnen stammen aus der Kúnság. Ich habe ja auch dieses Mal am Rücken, von dem man sagt, es sei kein Muttermal, sondern ein Stammeszeichen. Du willst es sehen? Gut, nachher.
    Mir kam in den Sinn, was mein Mann einmal von einem berühmten Ungarn erzählt hat, einem Grafen, der auch Ministerpräsident war, Tisza hieß er, glaube ich. Mein Mann kannte die Frau, in die der Graf verliebt war. Von dieser Frau hatte er gehört, daß der bärtige Graf zu seiner Zeit als Ministerpräsident manchmal mit einigen Freunden ins Séparée des Hotels Hungaria ging und den kleinen Berkes, den Zigeunerprimas, holen ließ, worauf sie die Tür zumachten und schweigend die Zigeunermusik hörten, ohne viel zu trinken. Und gegen Morgen stellte sich der ernste, strenge Graf, der meistens den Gehrock trug, mitten ins Zimmer und begann zu langsamer Musik zu tanzen. Die anderen sahen ihm ernsthaft zu. Niemand lachte, was merkwürdig ist, der Mann war doch Ministerpräsident, und jetzt tanzte er da im Morgengrauen mit langsamen Bewegungen zu Zigeunermusik. Das kam mir in den Sinn, als mein Freund da im Morgengrauen seine Wörter rief und herumfuchtelte, in dem Zimmer, wo nur ich und die Bücher waren.
    Du, diese Bücher. Unvorstellbar viele. Ich habe sie nicht gezählt, er mochte es nicht, wenn ich mich mit seinen Büchern abgab. Ich habe sie nur so mit einem Auge schätzen können, all die Bücherregale, die an allen vier Wänden bis zur Decke reichten und unter der Last durchhingen wie der Bauch einer trächtigen Eselin. Klar, in der Stadtbibliothek gibt es noch viel mehr Bücher, hunderttausend oder eine Million. Ich weiß nicht, was die Leute mit all diesen vielen Büchern wollen. Mir hat mein ganzes Leben lang die Heilige Schrift genügt und der Heftroman mit dem schönen bunten Umschlag, auf dem ein Graf vor einer Gräfin kniet. Den hatte ich als junges Mädchen in Nyíregyháza vom Stuhlrichter bekommen, der ein Auge auf mich geworfen hatte und mich zu sich ins Büro rief. Diese beiden Bücher habe ich aufbewahrt. Andere habe ich einfach so zwischendurch gelesen. Denn zu meiner Zeit als Gnädige las ich auch Bücher, du schaust mich umsonst so schief an, ich sehe schon, du glaubst mir nicht. Doch, doch, damals mußte ich auch lesen, und baden, und mir die Zehennägel lackieren, und Dinge sagen wie: »Bartók hat die Seele der Volksmusik befreit.« Was mir sehr auf die Nerven ging. Denn vom Volk und seiner Musik wußte ich einiges, doch davon zu sprechen schickte sich nicht unter den Herrschaften.
    All die Bücher in jener Wohnung. Nach der Belagerung schlich ich mich einmal hin. Da war der Schriftsteller schon nach Rom gereist. Ich fand nur ein Trümmerhaus und in einer Ecke eine Masse von zermatschten Büchern. Die Nachbarn sagten, das Haus hätte viele Treffer abbekommen, und einer der Nachbarn, ein Zahnarzt, erzählte, der Schriftsteller hätte kein einziges seiner Bücher gerettet, er habe einfach vor dem Bücherberg gestanden, nachdem er aus dem Keller heraufgestiegen war, und habe ihn mit verschränkten Armen betrachtet. Die Nachbarn seien um ihn herumgestanden, mitleidig, aber auch in der Hoffnung, er würde zu klagen und zu jammern beginnen. Aber er habe eher zufrieden gewirkt. Verstehst du das? Der Zahnarzt schwor, er sei fast fröhlich gewesen und habe genickt, als sei alles völlig in Ordnung, als sei ein großer Betrug endlich aufgeflogen.
    Er habe seine Glatze gestreichelt und zu der breiigen Büchermasse gesagt: »Na endlich.«
    Der Zahnarzt erinnerte sich, daß mehrere, die das hörten, beleidigt waren. Aber das war dem Schriftsteller gleich. Er zuckte mit den Achseln und ging weg. Eine Weile lungerte er noch in der Stadt herum, so wie damals alle. Aber in der Gegend seiner ehemaligen Wohnung sah ihn niemand mehr. Offensichtlich hatte er mit seinem »Na endlich« einen Punkt hinter eine Geschichte gesetzt. Der Zahnarzt sagte noch, er habe gedacht, der Schriftsteller wolle nicht zeigen, daß ihn der Verlust schmerzte. Und andere hätten hinter dem erleichterten Seufzer etwas Politisches vermutet, gedacht, der Mann sei vielleicht Pfeilkreuzler oder Kommunist oder Anarchist, deshalb habe er »Na endlich« gesagt. Aber keiner habe etwas in Erfahrung bringen können. Die Bücher blieben also liegen, und niemand rührte an sie,
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