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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
Autoren: Sándor Márai
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nach, als ob es mit seinen feinen Flügeln tatsächlich im sonnenbeschienenen Zimmer umherflatterte, und von diesem Zaubertanz eines Wortes war er ergriffen, als wäre es das Schönste, was ihm das Leben noch bieten konnte. Offensichtlich hatte er in seiner Seele die Brücken und die Menschen schon aufgegeben. Er glaubte nur noch an die ungarische Sprache, seine Heimat. Einmal durfte ich nachts, als er seinen Wein trank, zu ihm hinein. Ich setzte mich auf das große Sofa, zündete eine Zigarette an und sah ihm zu. Er kümmerte sich nicht um mich, er war schon ziemlich angeheitert. Lief im Zimmer auf und ab und rief Wörter.
    Zum Beispiel: »Kard* [ *  Kard: Schwert (Anm. d. Übers.). ]«.
    Er blieb unsicher stehen, als wäre er über etwas gestolpert. Dann blickte er zu Boden und sagte zum Teppich: »Gyöngy* [ *  Gyöngy: Perle (Anm. d. Übers.). ]«.
    Dann rief er, wobei er sich die Hände auf die Stirn drückte, als hätte er Schmerzen: »Hattyú* [ *  Hattyú: Schwan (Anm. d. Übers.). ]«.
    Und er sah mich verwirrt an, als merkte er erst jetzt, daß ich im Zimmer war. Ich wagte ihn nicht anzuschauen. Es war mir peinlich. Als sähe ich etwas Unschickliches, weißt du, wie die Voyeure, die durch ein Guckloch sehen, wie einer mit einem Schuh Liebe macht. Er erkannte mich durch den Weinnebel hindurch und blinzelte. Und lächelte dann verlegen, als schämte er sich, ertappt zu sein. Er breitete die Arme aus, als wollte er sich entschuldigen: So ist es halt, ich kann nicht anders, es ist stärker als ich. Dann stotterte er: »Zsurló. Borbolya* [ *  Zsurló. Borbolya: Schachtelhalm. Berberitze (Anm. d. Übers.). ]«.
    Er setzte sich neben mich aufs Sofa, nahm meine Hand, während er sich mit der anderen Hand die Augen bedeckte. So saßen wir lange und stumm.
    Ich wagte nichts zu sagen. Aber da begriff ich, daß das, was ich sah, ein Sterben war. Dieser Mensch hatte sein Leben darauf gesetzt, daß in der Welt die Intelligenz herrschte. Und dann mußte er feststellen, daß die Intelligenz machtlos ist. Das verstehst du nicht, denn du bist ein Künstler, und mit der Intelligenz hast du nicht viel am Hut, zum Trommeln brauchst du die ja nicht. Na komm, werd nicht gleich böse, es ist ja viel mehr wert, was du machst. Na, siehst du. Doch dieser Mensch war ein Schriftsteller und hatte lange an die Intelligenz geglaubt. Er hatte geglaubt, die menschliche Intelligenz sei eine Kraft wie die Kräfte, die die Welt bewegen, wie das Licht und die Elektrizität und der Magnetismus. Und der Mensch herrsche mit dieser Kraft über die Welt, ohne sonstige Hilfsmittel, so wie der Held des langen griechischen Gedichts, du weißt doch, nach welchem man hier letzthin ein Reisebüro benannt hat, wie hieß er schon, ja, Ulysses. Irgendwie so hatte er es sich vorgestellt.
    Und dann mußte er sehen, daß die Intelligenz überhaupt nichts wert war, weil die Instinkte stärker sind. Die Triebe gelten mehr als der Verstand. Und wenn die Triebe die Technik zur Verfügung haben, dann pfeifen sie auf die Intelligenz. Dann beginnen sie einen wilden Tanz miteinander, die Triebe und die Technik.
    Deshalb erwartete er von den Wörtern nichts mehr. Er glaubte nicht mehr, daß die intelligent aneinandergereihten Wörter den Menschen und der Welt noch helfen konnten. Und wirklich, die Wörter sind heutzutage so komisch verdreht, weißt du, auch das einfache Wort, auch wenn zwei bloß miteinander sprechen, so wie wir jetzt. Die Wörter scheinen keinen Sinn mehr zu haben, überflüssig wie Denkmäler. In Wirklichkeit ist aus den menschlichen Wörtern eine Art Gebrüll geworden, etwas, das laut knatternd aus Lautsprechern kommt.
    Er glaubte also nicht mehr an die Wörter und genoß sie doch, berauschte sich an einzelnen ungarischen Vokabeln, schlürfte sie, nachts, in der verdunkelten Stadt, so wie du gestern den Grand Napoléon, den dir der südamerikanische Drogenschieber angeboten hat. Ja, du hast die kostbare Flüssigkeit genauso mit geschlossenen Augen und Sachkenntnis und Andacht geschluckt wie jener Mensch, wenn er »gyöngy« oder »borbolya« sagte. Für ihn bestanden die Wörter aus einem eßbaren Material, aus Fleisch und Blut. Und wenn er die seltsamen Wörter dieser asiatischen Sprache rief und stöhnte, glich er einem Betrunkenen oder Verrückten. Das Ganze kam mir wie eine fernöstliche Lustbarkeit vor, als sähe ich in der dunklen Nacht auf einmal ein Volk, oder eher das, was von ihm übriggeblieben ist, einen Menschen und ein paar
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