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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
Autoren: Sándor Márai
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nicht einmal die Bücher, die noch irgendwie heil waren, wurden gestohlen. Obwohl man damals alles mitgehen ließ, schartige Nachttöpfe und Perserteppiche und gebrauchte Gebisse, und was immer du willst.
    Der Schriftsteller verschwand, kurz nachdem die Russen in der Stadt eingezogen waren. Jemand erzählte, er sei auf einem russischen Lastwagen nach Wien mitgefahren. Bestimmt hatte er dafür mit seinen gehorteten Napoléons oder den Dollars gezahlt. Man hat ihn gesehen, wie er auf einem Haufen geplünderter Ware auf dem Lastwagen saß, ohne Hut, mit der Brille auf der Nase, und in einem Buch las. Vielleicht in einem Wörterbuch. Was meinst du? Ich weiß es nicht. So ist er aus der Stadt verschwunden.
    Doch das ist auch nicht sicher. Irgendwie paßt das Bild nicht zu meiner Erinnerung an ihn. Mir scheint eher, daß er im Schlafwagen verreist ist, im ersten Schlafwagen, der aus der Stadt abfuhr. Und daß er am Bahnhof Zeitungen kaufte und daß er Handschuhe anzog, als er in den Zug stieg, und nicht zum Fenster hinausblickte, als der Zug anfuhr, sondern mit der behandschuhten Hand die Vorhänge zuzog, um die Ruinenstadt nicht zu sehen. Da er doch die Unordnung nicht mochte.
    So stelle ich es mir vor. Irgendwie ist es mir wohler dabei. Komisch, jetzt merke ich, daß nur eines sicher ist, nämlich daß er tot ist, alles andere weiß ich nicht mit Gewißheit.
    Für mich war er auf jeden Fall der letzte Mensch aus jener Welt, der Welt meines Mannes, der Welt der Herrschaften. Obwohl der Schriftsteller nicht wirklich zu dieser Welt gehörte. Er war ja weder reich, noch hatte er Rang und Namen. Er gehörte auf eine andere Art zu jener Welt.
    Weißt du, so wie die Reichen all ihr Zeug in den verschiedenen »Ablagen« aufbewahrten, so bewahrte auch er etwas auf. Die Kultur, das, was er für Kultur hielt. Das, was wir einfachen Leute nicht kennen. Und was uns die Herren nie hergeben werden, nicht einmal jetzt, da alles anders ist, jetzt, da die Reichen den Armen all die Kinkerlitzchen aufdrängen, die gestern noch zu ihren Privilegien gehört haben. Aber etwas geben sie noch immer nicht her. Denn auch jetzt sind sie irgendwie noch verschworen, die Reichen und Auserwählten, wenn auch nicht auf die Art wie früher, als sie ihre Gemälde- und Kleider- und Aktiensammlungen hüteten. Auf das alles hat der Schriftsteller gepfiffen. Er sagte einmal, er könnte von Äpfeln, Wein, Kartoffeln, Speck, Brot, Kaffee und Zigaretten leben, mehr brauche er nicht. Und zwei Anzüge und etwas Wäsche zum Wechseln, dazu den abgetragenen Regenmantel, den er bei jedem Wetter anhatte. Und das war nicht einfach so dahergeredet, ich wußte, daß er die Wahrheit sagte. Denn am Ende hatte ich gelernt, ihm zuzuhören und zu verstehen.
    Ja, ich schwieg und hörte ganz gut zu, glaube ich. Und begriff schließlich ziemlich viel von diesem Mann. Nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Bauch, auf Frauenart. Ich spürte und wußte, daß diesem Mann auf der Welt tatsächlich nichts wichtig war, was die anderen für wichtig hielten. Der brauchte wirklich nicht mehr als ein bißchen Speck und Wein und Brot. Und ein paar Wörterbücher. Und am Ende genügten ihm von allen Wörtern der Welt ein paar ungarische Wörter, die im Mund zergingen und einen guten Geschmack hinterließen.
    Und die Sonne, die hat er noch geliebt. Hat im herbstlichen Sonnenschein über seinen Wörterbüchern gesessen, während die Bevölkerung und die Soldaten in den Kellern hockten – seltsam, daß die Soldaten vor den Bomben immer mehr Angst haben als die Zivilisten –, und hat manchmal mit seinen schwarz umrandeten Augen aufgeblickt und sich zufrieden von der Sonne bescheinen lassen.
    Er schien glücklich. Aber ich wußte, daß er nicht mehr lange leben würde.
    Denn wenn er auch die Kultur nicht mehr ernst nahm, sich einkapselte, sich in seinen alten Regenmantel wickelte, so gehörte er doch zu einer Welt, die vor seinen Augen zerfiel und zu existieren aufhörte. Was für eine Welt? Die Welt meines Mannes, die der Reichen, Auserwählten? Nein, die Reichen waren nur noch die Parasiten von dem, was man früher Kultiviertheit nannte. Siehst du, ich werde ganz rot, wenn ich das Wort ausspreche, als wäre es etwas Unanständiges. Als wäre der Schriftsteller oder sein Geist da und hörte, was ich rede. Als säße er hier in Rom, auf dem Bettrand, und wenn ich das Wort »Kultiviertheit« sage, hebt er plötzlich den Kopf und schaut mich durchdringend an. Und fragt: »Was sagen Sie, gnädige
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