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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
Autoren: Sándor Márai
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Farne und duftenden Lianen oder die Giraffen um sich verbreiten. Vielleicht sind auch die Schriftsteller auf diese Art lüstern. Ich brauchte Zeit, bis ich merkte, daß er nicht verrückt war, sondern sehr lüstern. Lüstern auf die Welt, der Stoff der Welt erregte ihn, das Wort und das Fleisch, das Geräusch und der Stein, alles, was man fassen und doch nicht begreifen konnte. Wenn er so gesprochen hatte, schaute er drein wie jemand, der Liebe gemacht hat und jetzt befriedigt mit geschlossenen Augen daliegt. Ja, mein Schatz, genauso.
    Hingegen konnte er nicht wirklich schweigen, nicht so, wie wenn man den Mund hält, weil einem nichts einfällt. Du zum Beispiel kannst wunderbar schweigen, wenn du an deinem Schlagzeug sitzt und mit deinem Götterkopf ernsthaft in der Bar umherblickst. Aber so erhebend dein Anblick im weißen Smoking auch ist, man sieht deinem Gesicht doch an, daß du einfach schweigst und an nichts denkst. Dieser Unglückliche hingegen schwieg so, als ob er etwas verschwiege. Und er konnte sehr stark schweigen. Es war so stark wie ein Geschrei.
    Wenn er sprach, ermüdete es mich nie. Ich spürte eher einen angenehmen Schwindel, wie wenn man Musik hört. Sein Schweigen hingegen machte mich müde. Denn dann mußte man mit ihm still sein und auf das achtgeben, was er verschwieg.
    Ich erriet nie, woran er in solchen Augenblicken dachte. Ich spürte nur, daß nach einem solchen Ausbruch, über die Chinesen oder die Giraffen, die wahre Bedeutung des Gesagten erst begann, wenn er verstummte. Und wenn er so schwieg, war er auch sehr weit von mir entfernt.
    Es war wie im Märchen, wenn einer die Tarnkappe aufsetzt und unsichtbar wird. So verschwand er im Schweigen. Zuvor war er noch dagewesen, hatte heiser seinen Vortrag gehalten, und dann war er mit einemmal nicht mehr da. Er war gar nicht unhöflich, und ich war auch nie beleidigt, wenn er plötzlich nicht mehr mit mir sprach. Ich fühlte mich vielmehr geehrt, daß er in meiner Gesellschaft auch schweigen konnte.
    Du fragst, worüber er denn so gut schwieg? So stark und konsequent? Ach, mein Schatz, da fragst du was ganz Schwieriges.
    Ich stellte mir keinen Augenblick vor, ich könnte sein Schweigen belauschen.
    Doch dann kam mir ein Verdacht, anhand kleiner Zeichen. In jener Zeit hatte dieser Mensch begonnen, in sich selbst den Schriftsteller abzuwürgen. Das machte er ganz umsichtig und systematisch. So wie der Mörder, der sich auf seine Tat vorbereitet. Oder vielleicht so wie ein Verschwörer, der lieber Gift nimmt, als das Geheimnis zu verraten.
    Ich will versuchen, dir zu erzählen, wie ich allmählich dahinterkam.
    Einmal sagte er: »Die Kunstsparte des Kleinbürgers ist das Verbrechen.«
    Wie immer, wenn er so etwas sagte, strich er sich über den kahlen Kopf, als zauberte er auf diese Art die Wahrheiten hervor. Später erklärte er dann diese verdächtige Weisheit, nahm sie auseinander und setzte sie wieder zusammen. Er sagte, im Leben des Kleinbürgers sei das Verbrechen das gleiche wie im Leben des Künstlers die Inspiration und die Schöpfung. Doch der Künstler wolle mehr als der Plebejer. Er wolle eine geheime Botschaft formulieren und dann aussprechen oder malen oder in Noten setzen. Etwas, wodurch sich das Leben vervielfacht.
    Er erzählte, auf welche Art die ungewöhnlichen, abweichenden Vorstellungen sich im Kopf des Verbrechers verfestigen. Auf welche Art der Mörder oder der Heerführer oder der Staatsmann mit den Möglichkeiten spielt, und wie er dann, genau wie der Künstler im Augenblick der Inspiration, blitzschnell und mit atemraubender Geschicklichkeit sein fürchterliches Kunstwerk, das Verbrechen, ausführt. Ein russischer Autor … runzle nicht deine Marmorstirn, mein Herz, sein Name ist unwichtig, ich habe ihn auch vergessen, aber ich sehe, daß es dich immer verdrießt, wenn man von Autoren spricht, denn du magst diese Gattung nicht. Du hast schon recht. Aber also, er hat gesagt, ein russischer Autor hätte ein Buch über den Mord geschrieben. Und er versicherte, es sei nicht ausgeschlossen, daß dieser Russe wirklich einmal einen Mord begehen wollte. Und dann habe er ihn doch nicht begangen, weil er kein Plebejer war, sondern ein Schriftsteller, der den Mord lieber schrieb.
    Er hingegen wollte nichts mehr schreiben. Ich habe nie einen Stift in seiner Hand gesehen, und seine Handschrift kenne ich auch nicht. Einen Füllfederhalter besaß er, so viel ist gewiß. Er lag auf dem Schreibtisch, neben der kleinen
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