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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
Autoren: Sándor Márai
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man hörte nur die Geschütze der Fliegerabwehr und die Bomben. Aber das störte ihn nicht.
    Er saß neben dem Sofa und griff hin und wieder nach meinem Handgelenk. Ich lag mit geschlossenen Augen. Es fielen viele Bomben, aber ich fühlte mich ruhig und geborgen wie noch nie. Warum? Vielleicht weil ich seinen menschlichen Beistand spürte. Das bekommt man sehr selten zu spüren. Auch bei den Ärzten selten. Dieser Mensch war kein Arzt, aber er wußte zu helfen. Wenn die Dinge schiefgehen, können offenbar nur die Künstler helfen. Vielleicht ausschließlich die Künstler … Ja, mein Schatz, du und alle Künstler. Er sagte einmal, früher habe es keinen Unterschied gegeben zwischen Künstler, Priester und Arzt. Das war dieselbe Person. Wer etwas konnte, war ein Künstler. Das spürte ich irgendwie, und deshalb war ich so ruhig.
    Nach einer Weile fühlte ich, daß mein Herz wieder regelmäßig schlug. Der Apparat in meiner Brust hatte wieder zu funktionieren angefangen, so wie ich es als Kind im Panoptikum von Nyíregyháza gesehen hatte. Es gab dort eine Puppe zu sehen, die einen sterbenden Papst darstellte. Seine Brust wurde von einem Apparat bewegt. So fühlte ich mich.
    Ich schaute zu ihm auf und wollte, daß er etwas sagte. Ich selbst hatte zum Sprechen noch nicht die Kraft. Aber er hatte schon gemerkt, daß die Gefahr vorbei war, und er fragte freundlich: »Hatten Sie Syphilis?«
    Die Frage schockierte mich nicht. Alles, was er sagte, klang ganz natürlich. Ich schüttelte den Kopf, und ich wußte, daß es keinen Sinn gehabt hätte zu lügen, denn dieser Mensch hätte es gemerkt. Dann fragte er, wie viele Zigaretten ich täglich rauchte. Weißt du, früher hatte ich nicht geraucht, jedenfalls nicht so maßlos wie jetzt in Rom. Damit habe ich erst hier begonnen, mit den gebeizten amerikanischen Zigaretten. Doch damals zündete ich mir höchstens nach dem Essen eine an. Ich sagte ihm das, und dann fragte ich: »Was war das?«, und ich legte die Hand auf mein Herz. Ich fühlte mich sehr schwach. »Ich habe noch nie so etwas gespürt.«
    Er betrachtete mich aufmerksam und sagte: »Der Körper erinnert sich.«
    Aber er sagte nicht, woran. Eine Weile schaute er mich noch an, dann stand er auf und ging mit langsamen, schleppenden Schritten, fast ein wenig hinkend, ins Nebenzimmer und machte die Tür hinter sich zu. Ich blieb allein.
    Auch später ließ er mich auf diese Art allein, morgens oder nachts, oder wann auch immer. Denn nach einer Zeit kam ich ohne Voranmeldung zu ihm. Er hatte mir einen Schlüssel gegeben, mit einer beiläufigen Geste, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Wann immer ich bei ihm eintraf, bewirtete er mich mit Leckerbissen, die er aus einer unsichtbaren Speisekammer hervorgezaubert hatte. Zum Beispiel mit Krabbenfleisch aus der Dose. Als schon alle Bohnen aßen, verwöhnte er mich mit Ananaskonserven. Und er bot mir auch alten Pálinka an. Er selbst trank nie Pálinka, aber er hatte immer Wein in der Kammer. Er sammelte seltene Weine, französische, ungarische, deutsche. Das war seine Sammlung, so wie andere Briefmarken oder feines Porzellan sammeln. Und wenn er eine dieser seltenen Flaschen entkorkte, betrachtete und kostete er den Wein so ehrfürchtig wie ein heidnischer Priester, der sich auf ein rituelles Opfer vorbereitet. Auch mir schenkte er manchmal davon ein, aber ungern. Irgendwie war ich des Weins nicht würdig. Lieber gab er mir Pálinka zu trinken. Er sagte, Wein sei kein Frauengetränk.
    Er hatte solche merkwürdigen Ansichten.
    Mich überraschte die Ordnung, die in seiner Wohnung herrschte. Große Ordnung in den Schränken, Schubladen und Regalen, auf denen er seine Papiere und Bücher aufbewahrte. Keine Zugehfrau hielt hier Ordnung, sondern er persönlich. Er war da ganz akkurat. Zum Beispiel duldete er keine Asche und Zigarettenkippen in den Aschenbechern, sondern ließ sie dauernd in einem Bronzekesselchen verschwinden, das er dann eigenhändig leerte. Auf seinem Schreibtisch war eine Ordnung wie auf dem Zeichentisch eines Ingenieurs. Ich sah ihn zwar nie Möbel umherschieben, aber wann immer ich eintraf, sah die Wohnung aus, als wäre eben reinegemacht worden. In ihm selbst war die Ordnung, in seiner Person, in seinem Leben. Ich habe das erst später verstanden, wenn ich es überhaupt richtig verstanden habe. Weißt du, es war keine lebendige Ordnung mehr. Sondern eine künstliche, denn als in der Welt alles auseinanderzufallen begann, gab er sich besonders
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