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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
Autoren: Sándor Márai
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zweierlei. Am Ende kommt die andere Zeit, das Alter, wenn die Männer zu Kindern werden und uns Frauen wieder brauchen.
    Na, lach doch ein bißchen. Ich erzähle dir einfach Geschichten, um dich zu unterhalten an diesem frühen Morgen. Ja, siehst du, jetzt bist du schön, wenn du so überheblich lächelst.
    Dieser Mann alterte schlau und schadenfroh. Manchmal fiel ihm ein, daß er alterte, und er erheiterte sich, seine Augen blitzten, und er blickte mich befriedigt an. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte sich die Hände gerieben vor verwegener Freude darüber, daß ich dort bei ihm saß und ihm keine Leiden mehr verursachen konnte. Bei solchen Gelegenheiten hätte ich ihn am liebsten geohrfeigt und ihm die Brille von der Nase gerissen und die Gläser am Boden zertrampelt. Warum? Einfach damit er aufjaulte. Damit er mich am Arm packte oder zurückschlug oder … Na ja. Es war nichts zu machen, er wurde alt. Und ich hatte Angst vor ihm.
    Er war der einzige, vor dem ich je Angst hatte. Obwohl ich dachte, ich verstehe ein bißchen was von den Männern. Ich dachte, sie bestehen zu acht Zehnteln aus Eitelkeit und dann noch zu zwei Zehnteln aus etwas anderem. Fahr jetzt nicht gleich so beleidigt auf, du bist doch die Ausnahme. Ich dachte, ich kenne sie, ich verstehe ihre Sprache. Denn von zehn Männern glauben es neun, wenn man die Augen aufschlägt und tut, als bewunderte man sie, ihre Schönheit, ihre Intelligenz. Man muß lispelnd und lallend zu ihnen reden, sich an ihnen reiben wie eine Katze und ihre unheimliche Klugheit bewundern. Uns Frauen, nicht wahr, genügt es schon, wenn wir zu Füßen des großen Mannes kauern und ehrfürchtig seinen Äußerungen lauschen dürfen, während er berichtet, was er für ein toller Hecht ist im Büro oder wie er die türkischen Importeure übers Ohr gehauen hat, indem er ihnen unveredeltes Leder für veredeltes verkauft hat, oder wie er die richtigen Leute eingeseift hat, um den Nobelpreis oder den Barontitel zu bekommen. Denn darum geht es meistens. Ich sag’s ja, du bist die Ausnahme. Du wenigstens trommelst einfach und hältst den Mund. Und wenn du den Mund hältst, dann bin ich ganz sicher, daß du gar nichts denkst. Das ist großartig.
    Doch die anderen sind nicht so, mein Liebster. Die anderen sind eitel, im Bett und bei Tisch, beim Spazieren oder beim Scharwenzeln um die Mächtigen, oder wenn sie im Kaffeehaus mit volltönender Stimme den Kellner rufen, alle sind sie dermaßen eitel, daß mir die Eitelkeit vorkommt wie die unheilbare Krankheit der Menschen. Acht Zehntel Eitelkeit, habe ich gesagt? Vielleicht eher neun. So wie die Erdoberfläche zu einem großen Teil aus Wasser besteht, so, scheint mir, sind auch die Männer nichts weiter als Eitelkeit, die von ein paar angelernten Ideen zusammengehalten wird.
    Aber dieser da war auf andere Art eitel. Er war stolz darauf, alles in sich abgetötet zu haben, worauf er hätte stolz sein können. Seinen Körper behandelte er wie einen Angestellten. Er aß wenig und mit gemessenen Bewegungen. Wenn er Wein trank, schloß er sich in sein Zimmer ein, wie jemand, der mit einer perversen Leidenschaft allein sein will. Als wollte er keine Frau um sich haben, wenn er Wein trank. Ich mußte ja Pálinka trinken.
    Er trank schwere Weine, mit großem Ernst. Holte sie aus der Kammer wie der Pascha, der im Harem eine Odaliske auswählt. Wenn er sich das letzte Glas einschenkte, sagte er laut: »Für die Heimat.« Ich dachte, er mache einen Witz. Aber nein, er lachte nicht, es war kein Witz. Das letzte Glas trank er tatsächlich auf die Heimat.
    Du fragst, ob er ein Patriot war? Ich weiß es nicht. Wenn Leute vom Patriotismus sprachen, schwieg er meistens mißtrauisch. Heimat war für ihn die ungarische Sprache. Es war kein Zufall, daß er in der letzten Zeit nur noch Wörterbücher las. Manchmal las er in einem spanisch-italienischen oder französisch-deutschen Wörterbuch, nachts beim Weintrinken oder vormittags und auch während der Luftangriffe, als hoffte er, im fürchterlichen Vernichtungslärm endlich ein Wort zu finden, das eine Antwort war. Aber meistens las er Wörterbücher, in denen die ungarischen Wörter auf ungarisch erklärt wurden, und er las mit einem so verklärten Gesichtsausdruck, als wäre er in Trance.
    Hin und wieder sprach er ein Wort laut aus, blickte zur Decke und schien das Wort flattern zu lassen wie einen Schmetterling, ja, genau, einmal sprach er genau dieses Wort aus, Schmetterling, und blickte ihm dann
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