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Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Titel: Was es heißt, in den Krieg zu ziehen
Autoren: Karl Marlantes
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    Vorwort
    Dieses Buch habe ich vor allem geschrieben, um mit meiner eigenen Kriegserfahrung ins Reine zu kommen. Lesend, schreibend und nachdenkend bin ich damit schon seit über dreißig Jahren beschäftigt. Ich hätte meine Überlegungen auch in einem persönlichen Journal für mich behalten können, wollte sie aber veröffentlichen, um sie mit anderen Veteranen zu teilen. Vielleicht helfen sie ihnen bei ihrer eigenen Sinnsuche und ihren Bemühungen, ihre Kriegserfahrungen in ihr gegenwärtiges Leben einzuordnen. Zudem möchte ich meine Erfahrungen auch jungen Menschen mit auf den Weg geben, die vielleicht noch überlegen, ob sie eine militärische Laufbahn einschlagen wollen, oder bereits vor ihrem ersten Kampfeinsatz stehen. Besonders ihnen könnte dieses Buch eine Art spirituelles Prophylaktikum sein, gleicht die kriegerische Auseinandersetzung doch insofern ungeschütztem Sex, als auch sie höchste Erregung mit möglicherweise schrecklichen Folgen verbindet. Unser Land ist in den letzten Jahrzehnten fast immer in kriegerische Konflikte verwickelt gewesen, und daran wird sich vermutlich auch in Zukunft wenig ändern. Wir sollten uns dafür wappnen, indem wir uns klarmachen, was ein Krieg für die im Gefecht stehenden Soldaten bedeutet: Jeder seinem Gewissen folgende Bürger, und vor allem jener, der an den politischen Schaltstellen sitzt, ist besser darauf vorbereitet zu entscheiden, ob junge Menschen in den Krieg geschickt werden müssen oder nicht, wenn er weiß, was man damit von ihnen verlangt.
    Die Gewalt des Krieges ist ein Angriff auf die Psyche, bringt Ethik und Moral durcheinander und stellt die Seele auf die Probe, nicht nur infolge der erlittenen, sondern auch der ausgeübten Gewalt. Soldaten leiden unter den Wunden, die ihrem Körper im Krieg zugefügt werden, mindestens genauso schlimm sind das Töten und andere Formen der Gewaltausübung, durch die Soldaten Kompromisse bei den moralischen Normen von Gesellschaft und Religion eingehen müssen. Die aus diesen Kompromissen resultierenden Verletzungen werden nicht diskutiert: Die Folgen der Gewalt für die geistige und seelische Gesundheit von Soldaten werden in der gegenwärtigen militärischen Ausbildung und der Gesellschaft allgemein kleingeredet oder sogar völlig ignoriert.
    Dieses Buch kann nicht dabei helfen, die militärische Ausbildung zu verbessern. Ich war ein U.S. Marine in Vietnam und glaube, dass mich das Marine Corps damals ausgezeichnet auf den Kampf für unser Land vorbereitet hat, genau wie es das auch heute mit den jungen Marines tut – was ganz allgemein für die Streitkräfte der Vereinigten Staaten gelten kann. Tatsächlich sind die jungen Soldaten heute noch weit besser vorbereitet als wir zur Zeit des Vietnamkrieges, wenigstens technisch und strategisch. Ich konzentriere mich in diesem Buch auf etwas anderes, nämlich auf Aspekte des Krieges, auf die einen ein institutionelles Ausbildungsprogramm, egal, wie lang und gründlich es ist, nicht angemessen vorbereiten kann, Aspekte, die sich nur individuell vermitteln lassen, an einem ruhigen Ort, an dem man allein und für sich Herz und Seele befragen kann.
    Wahrscheinlich wäre es besser, wenn diese Seelenerforschung
vor
dem Eintritt in den Militärdienst stattfände, mir ist jedoch nur zu bewusst, dass Achtzehnjährige nicht unbedingt für ihren Hang zur Selbstbefragung bekannt sind. Das ist nicht zuletzt einer der Gründe, warum junge Menschen, vor allem junge Männer, die besten Kämpfer sind. Die Auseinandersetzung mit der Gefahr des Todes oder auch drohenden Verkrüppelungen sollte junge Soldaten dennoch dazu bringen, sich über die ernsteren Aspekte ihres Berufs Gedanken zu machen.
    Würde dieses Buch also dem jungen Kämpfer vor Eintritt in die Schlacht dabei helfen, besser mit den vielzähligen psychologischen, moralischen und spirituellen Belastungen des Krieges zurechtzukommen, hätte sich meine Arbeit gelohnt. Und wenn die hier diskutierten Gedanken auch Bürgern und Politikern zu einem klareren Verständnis darüber verhelfen würden, was man von Soldaten verlangt, was es bedeutet, junge Leute in den moralischen Sumpf und das Opferfeuer des Krieges zu schicken, dann wäre dieses Buch ein Erfolg, der sicher nicht meine Hoffnungen überträfe, aber doch gewiss meine Erwartungen.

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    1 Der Tempel des Mars
    Krieger handeln mit dem Tod, sie nehmen anderen das Leben. Das ist eigentlich die Rolle Gottes; sie jungen Soldaten ohne angemessene psychologische
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