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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key
Autoren: Stephen King
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gesäubert, und sie klirrten.
    Noch dazu hatte ich eine der Harpunen mit Silberspitzen hinter der linken Hüfte im Gürtel stecken, aber die brauchte ich nicht. Der Sandteufel explodierte in alle Richtungen. Ein Wut- und Schmerzensschrei gellte durch meinen Kopf. Gott sei Dank brach er rasch ab, ich glaube, sonst hätte er mich zerrissen. Dann nahm ich nichts mehr wahr außer dem Geräusch der Muscheln unter dem Big Pink und einer kurzen Verdüsterung der Sterne über den Dünen rechts von mir, als die letzten Sandreste in einem chaotischen Wirbel fortgeweht wurden. Der Golf war wieder leer bis auf die im Mondschein glänzenden Wogen, die sich auf den Strand zuwälzten. Die Perse war verschwunden, falls sie überhaupt jemals da gewesen war.
    Meine Knie gaben nach, und ich plumpste in den Sand. Vielleicht würde ich das restliche Wegstück doch noch kriechend zurücklegen. Falls ja, war’s kein weiter Weg. Im Augenblick wollte ich nur dasitzen und den Muscheln zuhören. Mich eine Weile ausruhen. Dann würde ich vielleicht aufstehen, die letzten etwa zwanzig Meter zurücklegen, hineingehen und Wireman anrufen können. Ihm sagen, dass mir nichts fehlte. Ihm sagen, dass es geschafft war, dass Jack jetzt kommen und mich abholen konnte.
    Aber vorerst würde ich nur dasitzen und den Muscheln zuhören, die nicht mehr mit meiner Stimme, auch mit keiner anderen zu sprechen schienen. Vorerst würde ich nur allein hier im Sand sitzen, aufs Meer hinausblicken und an meine Tochter Ilse Marie Freemantle denken, die bei der Geburt 2830 Gramm gewogen hatte, deren erstes Wort Hund gewesen war, die einmal einen auf ein Blatt Pauspapier gekritzelten großen braunen Ballon heimgebracht und überglücklich gerufen hatte: »Hab ein Pild von dir demalt, Daddy!«
    Ilse Marie Freemantle.
    Ich erinnere mich gut an sie.

22
    Juni
    I Ich steuerte den Außenborder mitten auf den Lake Phalen hinaus und stellte den Motor ab. Wir trieben auf die kleine orangerote Boje zu, die ich hier zurückgelassen hatte. Ein paar Sportboote flitzten auf der spiegelglatten Seefläche umher, aber keine Segelboote; der Tag war vollkommen windstill. Wir sahen ein paar Kinder auf dem Spielplatz, ein paar Ausflügler auf der Picknickwiese, ein paar Leute auf dem nächsten Wanderweg, der am Ufer entlangführte. Insgesamt jedoch, für einen See, der tatsächlich innerhalb der Stadtgrenzen liegt, war die Gegend fast menschenleer.
    Wireman - der mit Anglermütze und Wikingerpullover ungewohnt unfloridamäßig aussah - äußerte seine Verwunderung darüber.
    »Noch sind keine Ferien«, sagte ich. »Warte ein paar Wochen, dann wimmelt’s hier von Booten.«
    Er sah sich unbehaglich um. »Ist dies dann der richtige Platz für sie, muchacho? Ich meine, wenn sie einem Fischer ins Netz geht...«
    »Netzfischerei ist auf dem Lake Phalen verboten«, erwiderte ich, »und Angler gibt’s hier auch nicht viele. Dieser See gehört fast ausschließlich den Sportbooten. Und in Ufernähe den Schwimmern.« Ich beugte mich nach vorn und hob den Zylinder auf, den der Silberschmied in Sarasota angefertigt hatte. Er war fast einen Meter lang und wies an einem Ende einen massiven Schraubverschluss auf. Jetzt war er mit Süßwasser gefüllt und enthielt die ebenfalls mit Wasser gefüllte Stablampe. Perse war in doppelter Dunkelheit eingeschlossen, im Schlaf von zwei Schichten Süßwasser umgeben. Bald würde sie noch tiefer schlafen.
    »Wunderschöne Arbeit«, sagte ich.
    »Allerdings«, bestätigte Wireman und beobachtete, wie der Zylinder im Nachmittagssonnenschein glänzte, als ich ihn hin und her drehte. »Und nichts dran, worin sich ein Haken verfangen könnte. Trotzdem wär mir wohler, wenn wir das Ding in einem See oben an der kanadischen Grenze versenken würden.«
    »Wo wirklich jemand kommen könnte, der ein Netz durch den See schleppt«, sagte ich. »Öffentlich sichtbar verstecken - das ist keine schlechte Methode.«
    Drei junge Frauen in einem Sportboot flitzten an uns vorbei. Sie winkten. Wir winkten zurück. Eine von ihnen rief: »Wir lieben süße Jungs!«, und alle drei lachten.
    Wireman salutierte lächelnd mit zwei Fingern am Mützenschirm, dann wandte er sich wieder mir zu. »Wie tief ist’s hier draußen? Weißt du das? Diese kleine orangerote Flagge lässt darauf schließen, dass du’s weißt.«
    »Okay, ich erzähl’s dir. Ich habe mich etwas genauer über den Lake Phalen informiert - was vermutlich überfällig war, nachdem Pam und ich das Haus in der Aster Lane vor
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