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Schreckensbleich

Schreckensbleich

Titel: Schreckensbleich
Autoren: Urban Waite
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Teil I
    Auf dem Luftweg
    D er Junge hatte von Seattle aus einen Bus nach Norden genommen. Er stand draußen, betrachtete die Bar lange und eingehend und wog dabei die ganze Zeit im Geiste seine Optionen ab. Von einem Stück repariertem Straßenbelag trieb ein Windstoß den Geruch von sonnenwarmem Teer herüber, obwohl der Tag kühl zu werden versprach. Der Lärm von anspringenden Düsentriebwerken und Maschinen, die von dem nahe gelegenen Flugfeld abhoben. Die Bar bot keinen besonders erhebenden Anblick, bloß ein zweistöckiger Holzschuppen mit einem Parkstreifen aus Stein und Kies. Er stieß einen Kiesel mit dem Fuß an, dachte alles noch einmal durch, dann ging er hinein.
    Er trank einen Schluck von seinem Bier, schaute sich in der Bar um und stellte das Glas wieder hin. Die Ellbogen zu beiden Seiten abgespreizt, lehnte er am Tresen. In solche Läden war er gern gegangen, als er noch nicht alt genug gewesen war, um Alkohol zu trinken – ein kurzer Tresen, trübes Licht und Kundschaft von fragwürdiger Zahlungsfähigkeit. Er hatte den Ausweis seines großen Bruders benutzt und gehofft, etwas zum Aufreißen zu finden. Zwei Jahre lang war er aus der Welt gewesen, wegen fahrlässiger Tötung im Straßenverkehr. Und dabei hatte er noch Glück gehabt; so jung, wie er war, hatte der Richter Nachsicht gehabt. An seinem dürren Körper trug er ein rotes Hemd, so abgetragen, dass der Stoff die Farbe von getrocknetem Pfirsich angenommen hatte. Durch die Zeit im Knast hatte er dieses alte Hemd jahrelang nicht getragen. Der Geruch, der in den neuen alten Klamotten von ihm ausging, war ein wenig wie Staub vermengt mit Mehltau, dunkle, verrammelte Orte; er saß so tief, dass er direkt aus seiner Haut zu kommen schien.
    Er betrachtete das Bier. Besser als dieses Pisspott-Zeug, das sie in Monroe brauten; halb Obst, halb Spucke, wie irgendwas Schwarzgebranntes vom Amazonas. Er trank noch einen Schluck. Das hier war sein erster legaler Drink, und er saß da und starrte ihn an, sah zu, wie die Luft sich als Feuchtigkeit an den Seiten des Glases niederschlug und ein wässriger Kreis sich um dessen Fuß sammelte.
    »Bau bloß keine Scheiße«, sagte er zu sich selbst und schaute sich unter den anderen Gästen um. »Mach bloß nicht so ’nen Blödsinn.«
    Als Eddie zum Tresen kam und sich setzte, hatte der Junge gerade jenes träumerische Leuchten an sich, das davon kommt, irgendwo zu sein, wo man noch nie gewesen ist. Ein leerer Platz zwischen den beiden. Der Junge starrte in sein Bier, gebannt davon, wie die kleinen Blasen gegen die Oberfläche prallten, dann zu einer Seite wegglitten und sich dort sammelten.
    Eddie bestellte sich beim Barkeeper ein Bier und wartete darauf, dass der Mann einschenkte. Der Junge schielte mit einem Auge hoch, um Eddie zu betrachten, sah zu, wie dieser auf das Bier wartete. Als der Barkeeper wieder weg war, drehte Eddie sich herum, um sich in der Bar umzusehen. Im hinteren Teil standen zwei Billardtische, einer davon besetzt, außerdem ein paar niedrige Tische dicht an der Wand, jeder mit zwei oder drei Stühlen.
    Eddie wandte sich wieder um und sagte zu dem Bier vor ihm: »Dann bist du wohl mein Mann.«
    Der Junge starrte Eddie einen Augenblick lang an und schaute dann weg. Eddie war nicht das, was er erwartet hatte; ein untersetzter, dunkelhäutiger Mexikaner, die Wangen von Aknenarben zernagt, mit einem dünnen Haarsaum entlang der Oberlippe.
    »Bisschen jung, wie?«, meinte Eddie.
    »Alt genug«, gab der Junge zurück und richtete sich auf seinem Barhocker zu voller Größe auf. Er wusste, wie er aussah, ein Jungspund von 22 Jahren, kaum alt genug, um sich hier aufzuhalten. Zwei Jahre Gefängnis hatten ihn abmagern lassen, hatten seine Muskeln gestrafft. Die Zeit dort hatte ihn abgehärtet, doch ihm war klar, dass er noch immer wie ein Halbwüchsiger aussah. Der Adamsapfel so groß wie die Faust eines Neugeborenen, wie Kindergekritzel hingemalter Bartflaum unterm Kinn.
    »Ich brauche dir das wohl nicht zu sagen«, fuhr Eddie fort, »aber es ist am besten, wenn du von Anfang an kapierst, dass es hier kein Vertun gibt. Man hat mir gesagt, du suchst was, und hier bin ich. Ich wäre gar nicht hier, wenn da nicht jemand sein eigenes Leben für dich eingesetzt hätte. Verstehst du?«
    Der Junge nickte und sah geradeaus auf die Schnapsflaschen hinter der Bar. Es war sein großer Bruder gewesen, der das hier eingefädelt hatte. Er hatte vor zwei Jahren auf dem Fahrersitz gesessen, und der Junge war
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