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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key
Autoren: Stephen King
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verursachter Stromausfall schuld sein, aber das glaubte ich eigentlich nicht.
    Ich merkte, dass die Muscheln mit einer Stimme sprachen, die ich erkannte. Kein Wunder; schließlich war es meine eigene. Hatte ich das nicht schon immer gewusst? Vermutlich schon. Ich glaube, auf irgendeiner Ebene, außer wir sind geistesgestört, kennen die meisten von uns die verschiedenen Stimmen der eigenen Fantasie.
    Und natürlich die unserer Erinnerungen. Auch die haben Stimmen. Fragen Sie jeden, der jemals einen Arm, ein Bein, ein Kind oder einen lang gehegten Traum eingebüßt hat. Fragen Sie jeden, der jemals eine schlechte Entscheidung getroffen hat, im Allgemeinen in einem unbedachten Augenblick (der fast immer rot ist). Auch unsere Erinnerungen haben Stimmen. Oft traurige, die wie im Dunkel erhobene Arme Aufmerksamkeit zu fordern scheinen.
    Ich ging weiter und hinterließ eine Fährte, der man den lahmenden Fuß ansah. Der verdunkelte Klotz des Hauses wurde größer. Das Big Pink war keine Ruine wie das Heron’s Roost, aber heute Nacht spukte es darin. Heute Nacht wartete dort ein Geist. Oder vielleicht etwas, das ein wenig handfester war.
    Eine Bö fiel über mich her, und ich sah nach links, in ihre drängende Kraft hinein. Jetzt lag das Schiff wirklich dort draußen: unbeleuchtet und still, mit im Wind flatternden zerfetzten Segeln, abwartend.
    Könntest ebenso gut gehen, sagten die Muscheln, als ich im Mondschein keine zwanzig Schritt von meinem Haus entfernt stand. Zieh einen Schlussstrich - das ist möglich, niemand weiß es besser als du -, und segle einfach davon. Lass diese Traurigkeit hinter dir. If you want to play you gotta pay. Und das Beste daran?
    »Das Beste daran ist, dass ich nicht allein gehen müsste«, sagte ich.
    Wieder eine Bö. Die Muscheln murmelten. Und aus der Finsternis unter dem Haus, wo sie eine sechs Fuß hohe Kalkschicht bildeten, löste sich ein noch dunklerer Schatten und trat heraus ins Mondlicht. Er blieb einen Augenblick vornübergebeugt stehen, als würde er nachdenken, und kam dann langsam auf mich zu.
    Sie kam langsam auf mich zu. Aber nicht Perse; Perse war ertränkt, damit sie weiterschlief.
    Ilse.
     
     
     
     
     
     
    V Sie ging nicht; ich erwartete nicht, dass sie gehen konnte. Sie schlurfte. Es war ein Wunder - ein schwarzes Wunder -, dass sie überhaupt in der Lage war, sich zu bewegen.
    Nach dem letzten Telefonat mit Pam (man konnte es eigentlich nicht als Gespräch bezeichnen) hatte ich das Big Pink durch die Hintertür verlassen und den Stiel des Besens abgebrochen, mit dem ich sonst den Sand von dem Weg zum Briefkasten fegte. Dann war ich zu dem Strandbereich hinuntergegangen, wo der Sand feucht glänzte. Was danach gekommen war, hatte ich verdrängt, weil ich mich nicht daran erinnern wollte. Natürlich nicht. Aber jetzt tat ich es, jetzt musste ich es tun, weil hier die Arbeit meiner Hände vor mir stand. Sie war Ilse... und doch nicht Ilse. Ihr Gesicht war da, dann verschwamm es und war nicht mehr da. Ihr Körper war da, dann verschwammen seine Umrisse, bevor die Konturen zurückkehrten. Während sie sich bewegte, fielen ihr kleine Stücke von dürrem Strandhafer und Muschelstückchen von Wangen, Brust, Hüften und Beinen. Im Mondschein glänzte ein Auge, das herzzerreißend klar, herzzerreißend ihres war, und dann war es fort, nur um kurz darauf erneut im Mondlicht zu strahlen.
    Die Ilse, die auf mich zugeschlurft kam, war aus Sand.
    »Daddy«, sagte sie. Ihre Stimme klang trocken, mit kratzigem Unterton - als ob in ihrem Stimmapparat ein paar Muscheln steckten. Das war vermutlich der Fall.
    Sie werden es wollen, aber Sie dürfen nicht, hatte Elizabeth gesagt... aber manchmal können wir nicht anders.
    Das Sandmädchen streckte einen Arm nach mir aus. Eine Bö kam, und die Finger am Ende der Hand verschwammen, als weggeblasene feine Sandkörner sie dünn wie Knochen werden ließen. Dann wirbelte um sie herum Sand auf und machte ihre Hand wieder dicker. Ihre Gesichtszüge veränderten sich wie eine Landschaft unter rasch ziehenden Sommerwolken. Das war faszinierend... hypnotisch.
    »Gib mir die Taschenlampe«, sagte sie. »Dann gehen wir miteinander an Bord. Auf dem Schiff kann ich sein, wie du mich in Erinnerung hast. Oder... du brauchst dich an nichts mehr zu erinnern.«
    Die Wogen waren auf dem Vormarsch. Sie tobten unter den Sternen heran, eine nach der anderen. Unter dem Mond. Unter dem Big Pink sprachen die Muscheln laut: meine Stimme, die mit sich selbst im
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