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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key
Autoren: Stephen King
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hatte recht. Irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, wie Perse die nächsten achtzig Jahre im Zylinder einer Taschenlampe Marke Garrity verbrachte. Ich begann mich bereits zu fragen, wie dünn die Wand zwischen Batteriefach und Lampengehäuse sein mochte. Und der Korallenbrocken, der in der Zisterne von der Wand gefallen war und beinahe das Table-Whisky-Fässchen zertrümmert hätte: War das ein Zufall gewesen... oder nach Jahren geduldiger Arbeit der abschließende Sieg des Geistes über die Materie? Perses Version eines Gefangenenausbruchs, bei dem man sich mit einem zugeschliffenen Esslöffel durch die Mauer gräbt?
    Trotzdem hatte die Stablampe ihren Zweck erfüllt. Gott segne Jack Cantoris praktische Veranlagung. Nein, das war zu billig. Gott segne Jack.
    »In Sarasota kenne ich einen Silberschmied«, sagte Wireman. » Mexicano, muy talentoso. Miss Eastlake hat - hatte - ein paar Sachen von ihm. Ich wette, ich könnte ihm den Auftrag geben, eine wasserdichte Röhre herzustellen, in der Platz für die Stablampe wäre. Dann hätten wir das, was Versicherungsgesellschaften und Footballtrainer doppelte Deckung nennen. Das Ding wäre nicht billig, aber was macht das schon? Wenn’s keine langen Erbstreitereien gibt, werde ich ein stinkreicher Mann. Da hab ich mal Glück gehabt, muchacho.«
    »La lotería«, sagte ich, ohne nachzudenken.
    »Sí«, sagte er. » La gottverdammte lotería. Helft mir jetzt, Emery in die Zisterne zu kippen.«
    Jack verzog das Gesicht. »Okay, aber ich... ich möchte ihn wirklich nicht anfassen.«
    »Ich helfe bei Emery mit«, sagte ich. »Du bewachst die Lampe. Wireman? Los, bringen wir’s hinter uns.«
    Wir wälzten Emery zu zweit in das Loch, dann warfen wir die von ihm abgebrochenen Stücke hinterher - oder so viele wir finden konnten. Ich erinnere mich noch an sein versteinertes Korallengrinsen, als er in die Dunkelheit purzelte, um sich zu seiner jungen Frau zu gesellen. Und natürlich träume ich manchmal davon. In diesen Träumen höre ich, wie Adie und Em mich aus dem Dunkel rufen und mich fragen, ob ich nicht zu ihnen runterkommen will. Und manchmal tue ich das in diesen Träumen. Manchmal stürze ich mich in diesen finsteren, übel riechenden Schlund, nur um meinen Erinnerungen ein Ende zu machen.
    Dies sind die Träume, aus denen ich schreiend hochfahre und dabei in der Dunkelheit mit einer Hand um mich schlage, die nicht mehr da ist.
     
     
     
     
     
     
    XIV Wireman und Jack schoben den Deckel wieder über die Zisterne, und dann gingen wir zu Elizabeth’ Mercedes zurück. Das war ein langer, schmerzhafter Fußmarsch, und zuletzt ging ich eigentlich gar nicht mehr; ich taumelte. Mir kam es vor, als wäre die Uhr auf vergangenen Oktober zurückgestellt worden. Ich dachte bereits an die wenigen Oxycontin-Tabletten, die im Big Pink auf mich warteten. Ich würde gleich drei auf einmal schlucken, beschloss ich. Drei würden mehr tun, als mir die Schmerzen zu nehmen; mit etwas Glück würden sie mich so betäuben, dass ich wenigstens ein paar Stunden Schlaf fand.
    Meine Freunde fragten mich beide, ob ich nicht den Arm um sie legen wollte. Ich lehnte ab. Das hier würde heute Nacht nicht mein letzter Fußmarsch sein; auch diesen Entschluss hatte ich bereits gefasst. Mir fehlte noch das letzte Stück des Puzzles, aber ich hatte eine Idee. Was hatte Elizabeth zu Wireman gesagt? Sie werden es wollen, aber Sie dürfen nicht.
    Zu spät. Zu spät. Zu spät.
    Die Idee war noch recht vage. Gar nicht vage war jedoch das Geräusch der Muscheln. Es war überall im Big Pink zu hören, aber damit es seine volle Wirkung entfaltete, musste man sich ihnen im Freien nähern. Dann hatte man am deutlichsten den Eindruck, Stimmen zu hören. Ich hatte so viele Nächte mit Malen vergeudet, in denen ich hätte zuhören können.
    Heute Nacht würde ich zuhören.
    Außerhalb der Torsäulen blieb Wireman stehen. »Abyssus abyssum invocat«, sagte er.
    »Der Abgrund ruft nach dem Abgrund«, sagte Jack und seufzte.
    Wireman sah mich an. »Glaubst du, dass es auf der Heimfahrt Schwierigkeiten geben wird?«
    »Jetzt? Nein.«
    »Und wir sind hier fertig?«
    »Das sind wir.«
    »Kommen wir jemals wieder her?«
    »Nein«, sagte ich. Ich blickte zu der im Mondschein träumenden Ruine hinüber. Sie barg keine Geheimnisse mehr. Mir fiel ein, dass wir die herzförmige Blechschachtel der kleinen Libbit zurückgelassen hatten, aber das war vielleicht nur gut so. Sie blieb am besten hier. »Niemand kommt jemals
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