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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key
Autoren: Stephen King
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    »Gleichfalls, Wireman. Gleichfalls.«
    Ich sah ihm nach, als er mit seiner Reisetasche über der Schulter davonging. Plötzlich erinnerte ich mich sehr deutlich an seine Stimme in der Nacht, in der Emery mich im Big Pink angegriffen hatte - wie Wireman cojudo de puta madre gebrüllt hatte, bevor er dem Untoten den Kerzenleuchter ins Auge gerammt hatte. Er war prachtvoll gewesen. Ich versuchte, ihn durch Willenskraft dazu zu bringen, sich ein letztes Mal umzudrehen... und das tat er. Er musste einen Gedanken aufgeschnappt haben, wie meine Mutter gesagt hätte. Oder eine Intuition gehabt haben. Das hätte Nan Melda gesagt.
    Ein Grinsen erhellte seine Gesicht, als er mich noch dastehen sah. »Lebe den Tag, Edgar!«, rief er. Leute drehten sich um, starrten ihn erschrocken an.
    »Und lass den Tag dich leben!«, antwortete ich ebenso laut.
    Er grüßte, indem er lachend zwei Finger an den Mützenschirm legte, und ging zu seinem Flugsteig davon. Und natürlich besuchte ich später tatsächlich seine Kleinstadt im Süden, aber obwohl Wireman durch seine Redensarten in mir weiterlebt - ich denke stets nur in der Gegenwartsform an sie -, habe ich den Mann selbst nie wiedergesehen. Er starb zwei Monate später an einem Herzinfarkt, während er auf dem Markt in Tamazunchale um frische Tomaten feilschte. Ich dachte, wir hätten noch Zeit, aber solches Zeug denken wir immer, nicht wahr? Wir betrügen uns so häufig selbst, dass wir davon unseren Lebensunterhalt bestreiten könnten.
     
     
     
     
     
     
    III In dem Haus in der Aster Lane stand meine Staffelei im Wohnzimmer, wo das Licht gut war. Die darauf gestellte Leinwand war mit einem Handtuch abgedeckt. Daneben, auf dem Tisch mit meinen Ölfarben, lagen mehrere Luftaufnahmen von Duma Key, die ich jedoch kaum eines Blickes gewürdigt hatte. Ich sah Duma Key in meinen Träumen; ich sehe es noch immer.
    Ich warf das Handtuch auf die Couch. Im Vordergrund meines Gemäldes - meines letzten Gemäldes - stand das Big Pink, das so realistisch dargestellt war, dass ich fast hören konnte, wie jede hereinkommende Welle die Muscheln unter dem Haus knirschen ließ.
    Gegen einen der Fundamentpfähle gelehnt, der perfekte surrealistische Touch, saßen nebeneinander zwei Stoffpuppen mit rotem Schopf. Links saß Reba. Rechts saß Fancy, die Kamen mir aus Minnesota mitgebracht hatte. Die Illys Idee gewesen war. Das Meer, das in meiner Zeit auf Duma Key meistens so blau gewesen war, hatte ich in einem stumpfen, unheilvollen Grün gemalt. Der Himmel über dem Golf war voller schwarzer Wolken, die sich am oberen Bildrand zusammenballten und sich in der Masse nicht mehr sichtbar abhoben.
    Mein rechter Arm begann zu jucken, und dieses vertraute Gefühl, Macht zu besitzen, floss erst in mich hinein, dann durch mich hindurch. Ich konnte mein Bild fast mit dem Auge eines Gottes... oder einer Göttin sehen. Auf dies alles konnte ich verzichten, aber es würde nicht einfach sein.
    Wenn ich Bilder malte, verliebte ich mich in die Welt.
    Wenn ich Bilder malte, fühlte ich mich heil und ganz.
    Ich malte eine Zeit lang, dann legte ich den Pinsel weg. Mit dem Daumenballen vermischte ich Gelb und Braun, und damit ging ich... ganz, ganz leicht … über den gemalten Strand, über dem nun die ersten kleinen Windstöße Sandschleier aufzuwirbeln schienen.
    Unter dem dräuend schwarzen Himmel eines aufziehenden Sommergewitters kam auf Duma Key Wind auf.

WIE MAN EIN BILD ZEICHNET (XII)
    Erkennen Sie selbst, wann Sie fertig sind, und legen Sie dann augenblicklich Stift oder Pinsel weg. Der gesamte Rest ist nur noch Leben.
     
    Februar 2006 - Juni 2007

Nachwort
    Ich habe mir einige Freiheiten mit der Geografie von Floridas Westküste sowie ihrer Geschichte herausgenommen. Obwohl Dave Davis wirklich gelebt hat und tatsächlich verschwunden ist, wird er hier romanhaft verwendet.
    Und niemand in Florida nennt außerhalb der Saison auftretende Stürme »Alice« - niemand außer mir.
    Ich danke meiner Frau, der Schriftstellerin Tabitha King, die dieses Buch in einem frühen Entwurf gelesen und wertvolle Veränderungen vorgeschlagen hat; die Keksdose von Sweet Owen war nur eine davon.
    Ich danke Russ Dorr, meinem alten Arztfreund, der mir geduldig die Funktion des Broca-Zentrums und die Physik von Schleudertraumata erklärte.
    Ich danke Chuck Verrill, der das Buch mit seiner gewohnten Kombination aus Milde und Rücksichtslosigkeit lektoriert hat.
    Teddy Rosenbaum, mein Freund und Redakteur: Muchas gracias.
    Und
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