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Wände leben - Samhain - Ferner Donner

Wände leben - Samhain - Ferner Donner

Titel: Wände leben - Samhain - Ferner Donner
Autoren: Martin Clauß
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Warum? Wenn man Isabel in die Falle locken wollte, wieso ließ sich dann das Fenster problemlos öffnen?
    Und wenn hier doch etwas ganz anderes vorging?
    Kein Verbrechen, sondern eine Sache, die ans Übersinnliche grenzte?
    Isabel blieb am Fenster stehen und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Einen Moment nachdenken, nur einen Moment, ehe sie kopflos in den Wald flüchtete. Die Angst ausschalten, einen Schritt zurücktreten, das Gesamtbild sehen. Und dabei den Fluchtweg im Auge behalten.
    Da! Sie hörte etwas. Die Tür von Jürgens Zimmer öffnete und schloss sich. Schritte auf dem Flur. Jürgens Schritte. Sie hielten vor Isabels Tür nicht an, gingen vorüber. Stufen knarrten. Jürgen stieg die Treppe hinab. Was wollte er da unten? Sich mit Winslow besprechen?
    Dass er nach unten ging, schien jedenfalls zu bestätigen, dass irgendetwas nicht stimmte. Dass er nicht hergekommen war, um brav in seinem Bett zu schlafen. Oder brauchte er nur etwas aus der Küche?
    Ein Glas Milch zum Einschlafen?
    Oder doch ein Messer für Isabel? Man konnte schließlich nicht alles in einer Reisetasche bei sich tragen. In einer Reisetasche, deren Reißverschluss kaputt war.
    Überhaupt – was hielt Isabel eigentlich noch hier? Warum floh sie nicht endlich?
    Beim Sprung aus dem Fenster würde sie sich vielleicht den Knöchel verstauchen, aber das würde sie überstehen. Fürchtete sie sich vor dem Sprung? Oder fürchtete sie sich davor, sich dumm zu benehmen?
    Na und? Das waren fremde Leute. Sie hatte doch sonst keine Angst davor, sich zu blamieren! Sie blamierte sich schon ihr ganzes Leben lang in dieser Aufmachung.
    Sie legte das Knie auf das Fensterbrett. Das ging. Es regnete nur noch leicht. Wenn sie sich vorsichtig hinabließ, sich am Fensterbrett festhielt wie an einer Reckstange, für ein paar Augenblicke nur, dann betrug die Entfernung zu den Steinplatten keine zwei Meter mehr.
    Sie verfluchte ihre hochhackigen Lederstiefeletten. Sie gehörten eben zum Outfit. Es war besser, sie auszuziehen, aber das ging nicht, während man auf der Fensterbank balancierte. Isabel setzte sich aufs Bett, begann die fünf Schnallen pro Stiefel zu lösen. Es schien ihr halbes Leben zu dauern. Als sie die Schuhe abgestreift hatte, ging sie ans Fenster und ließ sie draußen vorsichtig fallen. Das Geräusch beim Aufprall der Stiefel auf dem Stein war leise genug, um überhört zu werden. Sie brauchte zwei freie Hände. Barfuß zu springen war riskant, aber nicht so riskant wie mit diesen mörderischen Absätzen. Fliehen würde sie wahrscheinlich ohne Schuhe – so rannte es sich schneller –, aber später würde sie die Stiefel wieder brauchen. Eine kalte regnerische Herbstnacht war auf die Dauer kein Ambiente für nackte Füße.
    Also, dann musste sie sich jetzt wohl einen Ruck geben.
    Isabel setzte sich auf das Fensterbrett und kam sich schon wieder dumm vor, diesmal, weil sie nicht recht wusste, wie sie es angehen sollte. „Komm schon“, flüsterte sie. „Du hast keine Zeit mehr, einen VHS-Kurs ‚Aus dem Fenster klettern für Anfänger‘ abzulegen. Tu’s einfach!“
    Plötzlich geschah etwas.
    Draußen blitzte ein helles, bläuliches Licht auf.
    Dass vorne ab und zu auf der Straße ein Fahrzeug vorbeifuhr, war nichts Neues. Seit sie aus dem Fenster sah, hatten schon drei oder vier Mal die Lichtkegel von Scheinwerfern den Bereich hinter dem Haus aus der Dunkelheit gerissen, immer nur für kurze Augenblicke. Die Schatten der locker stehenden Bäume hatten sich gedehnt und verschoben, bis die Lichter verschwanden, weil die Straße die Richtung änderte und die Hinterseite des Grundstücks wieder in Finsternis sank.
    Doch dieses Licht war anders.
    Es war kalt und blau, als wäre es nicht von dieser Welt. Und es verschwand nicht nach ein paar Sekunden. Es breitete sich aus. Um das Haus herum. In Tausenden von geraden Linien eroberte es den Raum zwischen Haus und Wald. Es sah aus, als würde es von der Wand und von den Bäumen zurückgeworfen wie von Spiegeln.
    Isabel kniff die Augen zusammen. Was war los mit ihr? Was stimmte nicht mit ihren Augen? War es die Angst? Das Blut schoss in ihren Kopf, als ihr die Cola einfiel, die sie in Jürgens Auto getrunken hatte. Hatte das Getränk Drogen enthalten, LSD vielleicht? Aber hätte dessen Wirkung dann nicht schon viel früher einsetzen müssen? Außerdem hatte Jürgen auch eine Cola getrunken, und sie, Isabel, hatte zwischen den beiden Flaschen gewählt.
    Der Lichtschein erinnerte an den eines
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