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Wände leben - Samhain - Ferner Donner

Wände leben - Samhain - Ferner Donner

Titel: Wände leben - Samhain - Ferner Donner
Autoren: Martin Clauß
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Weiblicher.
    ‚Lola‘, stellte sie sich vor. ‚Sollen wir etwas trinken gehen?‘“

3. Das Hotel
    Der Regen war zu einem Nieseln geworden. Das kalte Fernlicht der Scheinwerfer legte sich wieder in langen Streifen auf die Fahrbahn, anstatt wie zuvor nur die Schwärme wütender Regentropfen zum Glühen zu bringen. Als Jürgen seine Geschichte begann, hatte es ausgesehen, als würden sie durch ein Funkenmeer steuern – nun schienen sie auf einem schimmernden Fluss dahinzugleiten.
    Die letzte Viertelstunde der Fahrt sprachen sie kein Wort miteinander. Jürgens Erzählung wirkte in Isabel nach. Wenn die Geschichte ein Teebeutel war, dann war Isabels Geist das heiße Wasser, und mit jedem Augenblick färbten sich ihre Gedanken davon dunkler. Niemand nahm den Beutel heraus, auch als der Tee längst bitter und ungenießbar geworden war.
    Eine Frau, immer wieder neu geboren, jedes Mal wärmer und weicher und weiblicher als zuvor. Olga, Anna, Lola. Menschen? Dämonen?
    Blonde Eisprinzessinnen, einander zum Verwechseln ähnlich. Dutzendlinge. Ida, Gita, Laila. Auch sie Menschen? Dämonen?
    Wo lag der Sinn?
    „Hier.“
    Sie hatten Weimar auf der B 85 umfahren (damit sie von möglichst wenigen Menschen gesehen wurden?) und eben den Stadtteil Legefeld passiert. Mitten in einem Waldgebiet lag an der Straße ein grünliches dreistöckiges Haus, das in seiner hageren Schmalheit besser in eine Häuserzeile der Altstadt gepasst hätte. Der Zahn der Zeit hatte sichtbar daran genagt. Die Frontwand war wie mit Fettflecken übersät, und die alten hölzernen Fensterläden sahen aus wie angebissen. Ein Schild neueren Datums prahlte vollmundig: SAUBERE ZIMMER – ZIVILE PREISE.
    Jürgen ging vom Gas und ließ den Wagen auf dem Parkplatz ausrollen, der locker Raum für zehn Autos geboten hätte. Jürgens Kiste war erst das zweite Fahrzeug auf dem Platz, und das erste – ein rostiger weißer Fiat-Lieferwagen – mochte den Besitzern gehören.
    Dann waren sie wohl die einzigen Gäste. Isabels Unsicherheit kehrte zurück. Das Haus wirkte so verstohlen und zwielichtig, als verfüge es an der Hinterwand über eine Rutsche, über die man Mädchenleichen gleich aus den Zimmern heraus in den Wald entsorgen konnte. Vielleicht grenzte das Hotel ja an ein Moorgebiet …
    Der Parkplatz war nicht geteert. Im Kies gab es tiefe Senken, in denen sich riesige Pfützen gebildet hatten. Isabel konnte gar nicht schnell genug aus dem Auto kommen, doch ins Haus zog es sie weniger. Was, wenn sie einfach loslief, in den Wald hinein? In ein paar Stunden, wenn die Sonne aufging, sah die Welt bestimmt anders aus. Bis nach Weimar würde es kaum mehr als ein längerer Spaziergang sein, und dort konnte sie irgendeinen Zug in Richtung Westen nehmen.
    Aber in den Wald? Bei diesem Regen?
    Was, wenn Jürgen ihr folgte? In seinen flachen Schuhen konnte er sie mühelos einholen. Dorthin zerren, wo er sie haben wollte.
    HOTEL WINSLOW, stand in verwaschenen gelben Holzlettern über dem Eingang.
    Isabels Armbanduhr zeigte 1.07 Uhr. Ob um diese Zeit noch jemand wach war?
    Jürgen nahm eine Reisetasche aus dem Kofferraum. Sie war aus braunem Leder, und der Reißverschluss schien hinüber zu sein, denn sie klaffte auf, und ein beiger Norwegerpulli quoll heraus. „Du kannst schon mal klingeln“, rief Jürgen, während er jede Tür des Autos kontrollierte. Er traute wohl der Zentralverriegelung nicht.
    Isabel fand einen breiten rechteckigen Knopf ohne Aufschrift und drückte ihn. Im Haus surrte es, ein unangenehmes Geräusch.
    „Nicht erschrecken“, sagte Jürgen. „Vor einigen Jahren sah das hier noch picobello aus, und es war meistens ausgebucht. Da lebte die Frau noch. Seit sie gestorben ist, schmeißt der alte Winslow den Laden alleine. Er ist nicht der Fleißigsten einer, aber das Hotel hält ihn am Leben.“
    „Aber es kommt niemand. Er schläft schon.“
    „Lass ihm Zeit.“
    Sie holte tief Luft. „Jürgen, ich habe eine Frage.“
    „Bitte!“
    „Ist das hier das Hotel, von dem deine Geschichte handelt? Das Hotel, in dem du diese Anna kennengelernt hast?“
    „Das mit Anna? Nein, das war in Leipzig, ein großes, modernes Haus. Ich bin da nur einmal abgestiegen. Aber später war ich hier mit ihrer … Schwester.“
    „Mit Lola?“ Doppel- oder Einzelzimmer , hätte sie am liebsten gefragt. Aber Neugier tötet die Katze, wie es in der englischen Sprache hieß.
    „Lola, ja. Wir hatten … Oh, ich glaube, da rührt sich was.“
    In der Diele war das Licht
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