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Wände leben - Samhain - Ferner Donner

Wände leben - Samhain - Ferner Donner

Titel: Wände leben - Samhain - Ferner Donner
Autoren: Martin Clauß
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sich zwischen ihre Brüste, zuerst wie das müde Haupt eines Kriegers, mit dem Ohr an ihrer Brust (ihr Herz schlug tief und langsam, eine vibrierende, sanft gekickte bass drum ). Dann, als im Krieger der Appetit auf neue Eroberungen erwachte, vertauschte ich das Ohr mit den Lippen.
    Ihre Haut schmeckte nach mildem Schweiß, den meine Gegenwart frisch weckte, nach zimtbraunen, gerösteten Mandeln, nach Basslinien aus hölzernen Schallkästen. Konnte ich mir diesen Geruch an Ida, Gita und ihren Luxusklonen vorstellen? Ich konnte nicht, ich kann nicht, und ich habe Fantasie.
    Ihren Hals küsste ich, ihren Mund aß ich, ihre Nase zerknabberte ich, und als meine Lippen an ihren Augen ankamen und mir nach Gnade zumute war, sagte ich: ‚Ich bin Gespenstern begegnet.‘
    Ihre Augen beobachteten meine Lippen. ‚Gespenster‘, echote sie. ‚Ida und Gita, nicht wahr?‘
    ‚Du kennst sie?‘
    ‚Haben sie dir gesagt, ich sei ein Dämon?‘, fragte Anna. Dieses Thema an diesem Ort, in dieser Situation, schien sie nicht zu stören. Sie streckte ihre Zunge nach meinem Adamsapfel aus und kitzelte ihn. Bestimmt erreichte diese harte kleine Zungenspitze auch die Stimmbänder im Inneren, denn die Worte aus meinem Mund schwangen ungewöhnlich, als ich erwiderte: ‚Ich glaube ihnen nicht.‘
    ‚Würdest du mir glauben, wenn ich dir sagen würde, dass …‘, sie zögerte, ‚... dass Dämonen wirklich existieren? Ida und Gita sind zwei davon.‘
    ‚Sie behaupten, Olga hätte Laila getötet, ihre Schwester.‘
    ‚Das nennt man: die Wahrheit auf den Kopf stellen. Olgas Tod trägt ihre Handschrift.‘ Anna schob mich von sich, und ich sah ihre dunklen Augen glimmen wie Bernstein.
    ‚Das ist nicht dein Ernst! Olga lief vor ein Auto …‘
    ‚Und wer hat das gesehen?‘
    ‚Keine Ahnung. Der Bäcker. Ich weiß nicht. Ich habe es als Tatsache hingenommen.‘
    ‚Als sie starb, war ihre Seele voller Schrammen, als hätte sie jemand mit einem spitzen Gegenstand zerkratzt.‘
    Anna schmiegte sich wieder an mich, ich konnte ihr Schaudern spüren, das dumpfe Knistern, das Far-Thunder-Rumpeln und alles. Ich fragte sie nicht, wie sie erfahren hatte, in welchem Zustand sich Olgas Seele befand. Es interessierte mich nicht, denn in diesem Moment spürte ich Annas Seele, und die war die Gitarre eines blinden, betrunkenen Schwarzen mit einem Plektrum aus Mahagoni.
    Ihre Stimme klang in meinem Ohr als dunkles Prasseln. ‚Was musst du tun, damit sie mich vernichten können?‘
    Ich war froh, dass sie fragte. Dass ich es loswerden konnte. ‚Das Fenster öffnen, während wir …‘ Meine Hand berührte die Innenseiten ihrer Schenkel. ‚Es bleibt geschlossen.‘
    ‚Nein‘, hauchte sie leise und öffnete unvermittelt ihre Schenkel. Die knisternde Glut aus ihrem Inneren wärmte für einen Augenblick meine Hand. Dann rollte sie sich aus dem Bett, tapste zum Fenster.
    ‚Anna!‘ Ich richtete mich auf. Ich saß am Bettrand. Konnte nicht glauben, was sie tat. ‚Anna, wenn sie Olga wirklich getötet haben …‘
    ‚Sie machen mir keine Angst.‘
    ‚Du bist nicht bei dir!‘
    ‚ Du bist nicht bei mir. Komm her!‘ Schon hatte sie die hohen Fensterflügel geöffnet. Milde Abendluft streichelte sie, als sie sich hinausbeugte. ‚Zeigen wir ihnen, dass wir keine Angst haben. Es ist wichtig. Komm!‘
    Zögernd umarmte ich sie von hinten, bedeckte ihre Blöße mit den Händen. ‚Was tust du?‘
    ‚Es ist nur ein kleiner Tod‘, sagte Anna und knisterte und donnerte stumpf und weich und weiblich. ‚Ein winzig kleiner Tod.‘
    Ich war machtlos. Ihr nur nahe zu sein, hieß, die Bäume knarrend wachsen zu hören. Den Kopf an ihren Rücken zu schmiegen, bedeutete, den Regen in den Wolken kochen zu hören. Doch ich brauchte mehr. Ich wollte das Holpern der Erdachse hören. Dazu musste ich in sie.
    Ich war der Tänzer und sie eine dreidimensionale, mich einhüllende Tanzfläche. Ich war der Rhythmus, sie die Melodie. Obwohl wir keinen Laut von uns gaben, schien es mir, als müsse das ganze Hotel von der unerhörten ungehörten Musik erwachen, die wir spielten.
    Das Gefühl der Gefahr verließ mich die ganze Zeit über nicht. Hatten Ida und Gita nicht doch recht? War Anna nicht eine Dämonin, die mich in den Untergang trieb?
    Vom kleinen Tod hatte sie gesprochen. Le petit mort. Ich hatte Lust, ihn ihr zu bescheren, meine Dämonin auf die lustvollste Weise zu vernichten, zu verbrennen und ihre Asche in alle Winde zu verstreuen.
    Ich hätte mich wohl beeilen
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