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Herrgottschrofen

Herrgottschrofen

Titel: Herrgottschrofen
Autoren: Marc Ritter
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Kapitel 1
    Es war vielleicht doch ein bisserl viel für einen Tag.
    »Verdammt, Hartinger … wenn du … dich da … mal nicht … übernimmst«, presste Karl-Heinz Hartinger zwischen vier kurzen Atemzügen hervor.
    Er blickte auf seine Sportuhr, die am linken Handgelenk über der Laufjacke festgezurrt war. Er war schon knapp eine Dreiviertelstunde unterwegs. Die Route, die er sich vorgenommen hatte, führte ab diesem Teilstück von der Kreuzeckbahn hinüber zur östlichen Seite des Talkessels. Bis dorthin waren es durch die Schmölz noch einmal knapp zwei Kilometer. Acht Kilometer hatte er bereits auf dem Hinweg hinter sich gebracht. Nun also zwei rüber auf die andere Seite und dann sieben wieder zurück auf dem Kramerplateauweg. Und zu guter Letzt auch noch wieder zwei Kilometer zu seiner Dachgeschosswohnung in Partenkirchen. »Neunzehn … Kilometer … schaff … ich … leicht«, keuchte sich Hartinger gebetsmühlenartig vor.
    Karl-Heinz Hartinger hatte diese Tour die »Große Garmisch-Partenkirchen-Runde« getauft. Er wollte diesen Frühlingstag, dessen Sonne sich bemühte, die letzten Schneereste von den Wiesen zu schmelzen, nutzen, um seine Grenzen auszutesten. Nie hätte er gedacht, dass diese Grenzen so schnell erreicht sein würden. Er war schon öfter an die volle Stunde herangelaufen. Und an diesem Tag sollte nach einer Dreiviertelstunde Schluss sein? Nein, das konnte er sich selbst nicht durchgehen lassen. Zumindest über den Fluss rüber auf die andere Seite musste er noch kommen. Dort konnte er eine Gehpassage einlegen, um dann mit erholten Beinen den Heimweg anzutreten. Außerdem gab es dort drüben auf dem Kramerplateau einen großartigen Blick über Garmisch und Partenkirchen und auf das Wettersteingebirge. Also Zähne zusammenbeißen und in Richtung Loisach.
    Hartinger kannte sich am Südrand von Garmisch aus. Er war zwar in Partenkirchen geboren, hatte aber seine Adoleszenz hier im anderen Ortsteil verbracht. An den Ufern der Loisach waren sie ab dreizehn, vierzehn beinahe jedes schneefreie Wochenende am Lagerfeuer gesessen, hatten Country-Schnulzen geklampft und sich auf den dünnen Isomatten in schlechte Bundeswehrschlafsäcke gerollt. Da war erprobt und ausprobiert worden – saufen, rauchen, kiffen, auch ein bisschen Sex. Das waren oberflächlich die Hauptbeschäftigungen beim »Zelteln« gewesen. In Wirklichkeit ging es um Freundschaft und Feindschaft, ums Dazugehören und um Abgrenzung. Ums Erwachsenwerden eben.
    Am Anfang, als sie noch mit den Fahrrädern und zu Fuß in den Wald und an den Fluss aufgebrochen waren, jeder mit seinem Schlafsack und so viel Augustiner-Bier und Dosen »Feuerzauber Texas« ausgestattet, wie er schleppen und konsumieren konnte, war alles harmlos gewesen. Dann kamen die Mopeds, und die Älteren hatten bald die ersten Enduros dabei. Damit ließen sich immer mehr Bier, Schnapsflaschen, aber auch Mädels in den Wald verschleppen. Aus den Lagerfeuerabenden waren Waldpartys geworden. Und als wenig später Jeeps und mit ihnen Kettensägen zum Einsatz kamen, wuchsen die Feuer zu Scheiterhaufen.
    Hartinger hatte spätestens, als wieder einmal ein besonders ausgelassener Partygast eine Handvoll Zündhütchen aus Papas Waffenschrank ins Feuer geworfen und ihm ein aus dem Feuer gesprengter Funke beinahe ein Auge ausgebrannt hatte, keine Lust mehr auf die Orgien an den Loisachufern gehabt. Ein ernsthafter Unfall – sei es durch eine in den Oberschenkel eines Besoffenen schneidende Kettensäge oder eine Handvoll Munition, die ein Wahnsinniger hochgehen ließ – schien programmiert. Von all den Messern und Macheten im Partygepäck seiner Freunde ganz zu schweigen.
    Er hatte sich immer seltener dort blicken lassen. Und als der Haupttreffpunkt, eine Stelle namens »Tiefer Stein« , von einem der großen Frühjahrshochwasser der Loisach mitsamt dem riesigen Felsen einfach weggespült wurde, war es ihm so vorgekommen, als hätte die Natur das wilde Treiben nicht länger dulden wollen und den Partyraum kurzerhand abgerissen.
    Mit diesem »Tiefen Stein«, der wohl Jahrtausende an der Stelle im Fluss gelegen haben mochte, war seine Jugend weggespült worden. Kurze Zeit später hatte er dann den Ort wegen der Sache mit dem Kaplan verlassen müssen.
    Diese Gedanken an die längst vergangenen Zeiten hatten ihn für ein paar Minuten die Schwere seiner Beine vergessen lassen, und Hartinger kam in der Schmölz an. Was es hier zu sehen gab, ließ ihm jedes Mal, wenn er mit
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