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Wächterin der Träume

Wächterin der Träume

Titel: Wächterin der Träume
Autoren: Kathryn Smith
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viel über Noahs Vergangenheit. Er sprach kaum darüber. Aber immerhin hatte ich herausbekommen, dass sein Vater ein ekelhafter Kerl gewesen war. Sowohl in Noahs Kunstwerken als auch in seinen Träumen hatte ich Hinweise darauf gefunden, was seine Mutter durchgemacht haben musste. Das war auch der Grund dafür, warum Noah nicht wollte, dass ich einfach in seine Träume platzte. Ich konnte mir gut vorstellen, wie der junge Noah seine misshandelte Mutter verteidigte, und ich möchte wetten, dass er deshalb Aikido gelernt hatte. Ein Ritter in schimmerndem Wehr.
    Genau deshalb war ich besorgt darüber, dass er sich so hingebungsvoll um Amanda kümmerte. Noah war ein guter Mensch – Frauen zu retten und zu beschützen war für ihn selbstverständlich. Das sah ich in seinen Werken, spürte es in seinen Träumen und hörte es zuweilen aus seinen Worten.
    Ich wollte nicht, dass Noah mich rettete oder bei mir den Beschützer spielte. Aber es wäre gelogen gewesen zu behaupten, dass ich mich fürchtete, sein Beschützerinstinkt könnte bei Amanda überhandnehmen. Wenn jemand im Augenblick Hilfe benötigte, dann war sie es, und vielleicht kam das Noahs Bedürfnis, gebraucht zu werden, sehr entgegen.
    Und natürlich machte ich mir Gedanken darüber, welche Auswirkungen das auf unsere junge Beziehung haben konnte.
    Aber genug davon. Ich hörte auf, in der Akte meines ersten Klienten zu blättern, und blickte auf die Uhr. Als hätte Bonnie mich mit versteckter Kamera beobachtet, summte im selben Augenblick die Sprechanlage. Bonnies Stimme ertönte, um mir mitzuteilen, dass Teresa, meine erste Klientin, da sei. Die wichtigsten Informationen über sie hatte ich ihrer Akte und dem Bericht ihres Hausarztes entnommen, den Rest würde ich von ihr persönlich erfahren.
    Einige der Patienten, die in der alten Klinik an meinen Traumstudien teilgenommen hatten, kamen noch gelegentlich zu einer Traumtherapie in die Praxis, doch die Mehrheit meiner derzeitigen Klienten wurde von anderen Ärzten an mich überwiesen. Auch wenn mir Warren und Edward ideale Arbeitsbedingungen verschafften, hatte ich deshalb nicht allzu viele Klienten, aber das würde sich hoffentlich bald ändern. Meine Wohnung, Lebensmittel und meine Schwäche für Kosmetika finanzierten sich schließlich nicht von selbst.
    Ich schob alle Sorgen beiseite und konzentrierte mich auf Teresa und ihr Anliegen.
    Nachdem ihre Stunde vorüber war, empfing ich einen weiteren Klienten und ging anschließend mit Bonnie zum Mittagessen. Wieder im Büro angekommen, hatte ich es satt, dass mir ungewollt immer aufs Neue die gleichen Gedanken durch den Kopf schossen. Die Vorstellung, dass ich auf Anordnung meines Vaters vor der Obersten Wächterin erscheinen sollte, verfolgte mich. Offensichtlich machte ich mir doch größere Sorgen darum, als ich angenommen hatte.
    Ich sagte Bonnie, dass ich noch einige Arbeiten zu erledigen hätte und nicht gestört werden wollte. Dann schloss ich die Tür von meinem Büro ab und ging ins Bad. Ich atmete tief durch und sammelte all meine Energie. Ohne die Hände zu Hilfe zu nehmen, öffnete ich eine Pforte zwischen dieser Welt und dem Traumreich. Ich stellte mir den Weg in die Welt der Träume immer wie einen kosmischen Reißverschluss vor, der die verschiedenen Dimensionen miteinander verband. Über diesen Vergleich hätte mein Vater vermutlich gelacht, aber ich fand ihn sehr anschaulich.
    Die Luft vor mir erschien wie eine feste, greifbare Substanz. Diese riss plötzlich auf und gab den Blick auf die Welt dahinter frei, eine Welt in Dunkelheit und Nebel gehüllt, in der Lichter wie Sterne funkelten und nichts unmöglich war.
    Sobald ich den Reißverschluss weit genug geöffnet hatte, konnte ich hindurchgehen. Es war, als trete man durch das Loch einer Wand in ein Zimmer, in dem sich eine völlig andere Welt befand.
    Anscheinend verfügte ich über große Macht im Traumreich, auch wenn ich noch nie die Probe aufs Exempel gemacht hatte. Da ich vor Karatos’ Angriff auf Noah mehr als zehn Jahre lang nicht mehr im Traumreich gewesen war, waren meine Fähigkeiten, gelinde gesagt, ein wenig eingerostet, und ich hatte keine Ahnung, wie weit sie reichten. Niemand wusste davon, da ich ja, wie Sie sich erinnern werden, die einzige Halbmenschliche war.
    Doch das war im Augenblick meine geringste Sorge. Ich musste mit meinem Vater sprechen. Ich wusste nicht, ob es ein schlechtes Zeichen war, dass ich nicht wie gewöhnlich direkt in den Königspalast gelangt war.
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