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Wächterin der Träume

Wächterin der Träume

Titel: Wächterin der Träume
Autoren: Kathryn Smith
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Stattdessen befand ich mich vor den gewaltigen, hohen Toren aus Horn und Elfenbein, die den Zugang zur Hauptstadt versperrten. Finster und majestätisch ragten sie in der Dunkelheit vor mir auf. In meinem Rücken kroch der Nebel wispernd näher.
    Einige Orte im Traumreich sind gefährlich, doch der Bereich rund um den Palast meines Vaters dient in erster Linie dem Schutz der Träumenden. In dieser Welt gibt es Alptraumwesen und viele andere Kreaturen, die Schaden stiften. Ich hatte also gute Gründe dafür, mich nicht länger als nötig hier draußen aufzuhalten, mochte der Blick auf die funkelnden Lichter der Stadt noch so großartig und der Anblick des erleuchteten Palastes, der Disney World entsprungen zu sein schien, noch so atemberaubend sein.
    Ich schritt auf das Tor zu. Mit angehaltenem Atem langte ich nach dem aus Elfenbein geschnitzten Türgriff und drückte ihn. Erleichtert atmete ich auf. Das Tor hatte erkannt, dass ich kein feindlicher Eindringling war, und schwang auf.
    Rasch schritt ich über das ebene Pflaster, das im Mondlicht blau und golden schimmerte. Die mit Nebengebäuden, Wohnhäusern und einem Wirtshaus gesäumte Straße führte geradewegs zum Palast. Meine Ankunft am Schloss wurde von großen geflügelten Wächtern mit obsidianschwarzer Haut argwöhnisch beobachtet. Hatten sie mich erwartet? Würden sie mich als Freundin oder Feindin behandeln? Hatten sie womöglich Angst vor mir? Ich glaube, offene Feindseligkeit wäre mir lieber gewesen als diese misstrauischen Blicke.
    »Euer Hoheit.« Die Wächter verneigten sich vor mir und öffneten das Haupttor zum Palast. »Der König hält sich in der Bibliothek auf.«
    Das war wohl eine Aufforderung, mich direkt zu ihm zu begeben. Gehe nicht über Los, ziehe nicht 4000 Euro ein. War ich nicht witzig?
    Doch die Wache hätte gar nichts zu sagen brauchen. Ich wusste, wo sich meine Eltern aufhielten, ebenso wie sie meine Ankunft spürten, ohne dass man meinen Besuch angekündigt hatte.
    Ich dankte den Wachen und betrat den Palast. Mir blieb nur eine Sekunde, um die große Halle im neoklassischen Stil zu bewundern, denn schon begann die Luft zu flirren. Alles um mich herum verschwamm bis zur Unkenntlichkeit und tauchte dann verändert wieder vor mir auf. Anstatt zu warten, hatte mich Morpheus zu sich in die Bibliothek geholt. Phantastisch.
    Ging es nur um die Oberste Wächterin, oder hatte ich noch gegen weitere Gesetze verstoßen? Ich musste unbedingt mehr über diese Welt erfahren, aber gerade stürzte alles schneller auf mich ein, als ich es hätte erfassen können.
    Mein Vater, der am Kamin stand, sah aus, als wäre er einem Lifestylemagazin entstiegen. Er lächelte nicht, doch seine hellblauen Augen blickten erfreut. Schon fühlte ich mich ein wenig besser. Morpheus hatte rötlich braunes Haar, angenehme Gesichtszüge und wirkte so robust wie ein Bauarbeiter. Normalerweise trug er Jeans und Pullover, so wie meine Mutter ihn gern sah. Ich war sicher, dass er sein Aussehen veränderte, je nachdem, wer ihm gegenüberstand. Diese Vorstellung fand ich ein wenig unheimlich. Wie er wohl in Wirklichkeit aussah?
    »Dawn!« Auch seine Stimme klang robust, tief und ein wenig rauh. »Welch Überraschung.«
    »Stimmt nicht«, sagte ich und schlüpfte an ihm vorbei ins Zimmer. Ich liebte die Bibliothek, die jedes Buch enthielt, das jemals geschrieben, ja, auch nur erträumt worden war. Für meine Schulaufsätze war das früher phantastisch gewesen. »Als du Verek sagtest, er solle mich gefesselt hierherschleppen, wusstest du genau, dass ich sofort kommen würde. Hi, Mom.«
    Meine Mutter, eine zierliche Brünette, war elegant wie immer, wirkte jedoch ein wenig müde. »Hallo, meine Süße.«
    Ich drehte mich zu meinem Vater um, der die Tür geschlossen hatte und mich mit einem väterlich resignierten Blick musterte. »Es musste sein.«
    »Warum?«, fragte ich, plötzlich so wütend, dass jedes andere Gefühl daneben verblasste. »Damit du mich der Obersten Wächterin wie eine Gefangene übergeben kannst?«
    »Damit du auch ganz bestimmt kapierst, wie ernst die Lage ist«, feuerte er zornig zurück. »Ich muss unparteiisch sein und darf mich nicht für dich einsetzen, Dawn. Das würde meine Autorität untergraben und letzten Endes nur dir schaden.«
    Ach, verdammt noch mal. Mein Zorn verrauchte so schnell, wie er gekommen war.
    »Wie schlimm ist es?«, fragte ich.
    Er zuckte mit den breiten Schultern, verschränkte die Arme vor der Brust und ging zu meiner Mutter.
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