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Waechter des Labyrinths

Waechter des Labyrinths

Titel: Waechter des Labyrinths
Autoren: Will Adams
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Freude.»
    «Nicht für mich, das kann ich Ihnen versichern.» Sie bedeutete dem Wärter knapp, im Raum zu bleiben, und bot Michail einen der beiden Stühle an. Sie wartete, bis er Platz genommen hatte, stellte ihre Aktentasche ab und holte ein Diktiergerät hervor, das sie auf den Boden stellte. Dann setzte sie sich ihm gegenüber, zog einige Papiere hervor und begann, sich mit einem dicken grünen Füller Notizen zu machen. Dabei betrachtete sie ihn alle paar Augenblicke wie eine Künstlerin, die an einem Porträt arbeitet. Zweifellos wollte sie damit seine Neugier wecken, doch Michail biss nicht an. Er legte die Hände in den Schoß und wartete. Nach gut fünf Minuten seufzte sie, rutschte nach vorn und reichte ihm zwei zusammengeheftete Seiten, dazu einen Bleistiftstummel. Ihren Füller wollte sie ihm anscheinend nicht anvertrauen. «Würden Sie sich bitte die beiden Seiten anschauen?»
    «Wieso?»
    «Haben Sie so viel Besseres zu tun?»
    Michail zuckte mit den Schultern, nahm die beiden Seiten, überflog die Liste der Fragen und warf ihr einen kalten Blick zu. Aber er hatte nichts gegen Spielchen, ganz im Gegenteil. Sie würde umso wütender sein, wenn die Armee von Anwälten, die für seine Familie arbeitete, ihn am Ende rausbekommen hatte. Und das musste jeden Tag der Fall sein. Ohne Leiche hatte die Polizei nichts in der Hand, und jeder wusste das.
     
Unfähigkeit, sich sozialen Normen anzupassen.
     
    Ein leichter Anfang. Es erstaunte Michail immer wieder, dass jeder Mensch sich anpassen sollte. Abgehakt .
     
Anhaltende Reizbarkeit und niedrige Schwelle für aggressives, gewalttätiges Verhalten. Abgehakt.
I mpulsivität. Abgehakt.
     
    Diese Psychotante hatte eine super Figur, das musste er ihr lassen. Tolle Beine. Braun gebrannt und wohlgeformt, lang und geschmeidig. Trotzdem muskulös. Die Beine einer Ballerina. Ideal, um sie eng um die Hüfte eines Mannes zu schlingen. Und sie wusste sie zur Geltung zu bringen, jedenfalls soweit es ihr beruflich erlaubt war: hochhackige Schuhe und ein geschlitzter Rock, sodass man hin und wieder ihre Oberschenkel sah. Außerdem schlug sie ihre Beine ständig übereinander oder öffnete sie gerade so weit, dass man ihr ein wenig unter den Rock schauen konnte. Ansonsten machte sie leider nicht viel her. Ein Gesicht wie eine Kröte mit einer arroganten Stupsnase und einer Haut, der man noch die Verwüstungen pubertärer Akne ansehen konnte.
     
Missachtung der Sicherheit anderer. Abgehakt.
Fehlendes Verantwortungsgefühl. Abgehakt.
Unvermögen zur Beibehaltung längerfristiger Beziehungen. Abgehakt.
     
    Ihr Benehmen sprach auch nicht gerade für sie. Sie war so abweisend und argwöhnisch, als hätte sie es sich zum Lebensziel gemacht, niemanden an sich heranzulassen. Aber letzten Endes war sie jung und weiblich, und Michail hatte schon vor langer Zeit gelernt, in Einrichtungen wie dieser das Beste aus allem zu machen.
     
Missachtung von Versprechen, Abkommen und Vereinbarungen. Abgehakt.
Manipulativ. Abgehakt.
Fehlende Empathie.
     
    Michail hielt inne. Fragen über Empathie verblüfften ihn immer. Es war das Gleiche wie bei Farbenblindheit. Wenn jemand Rot und Grün nicht voneinander unterscheiden konnte, war das eine Sache. Aber wer wollte beurteilen, ob er die Farbe Gelb genauso wahrnahm wie jeder andere? Mit der Empathie war es ähnlich, man konnte sie im Grunde unmöglich in Relation beurteilen. Über die Jahre hatten ihm diverse Psychologen Bilder von Gesichtern gezeigt, als würde er unter Asperger leiden. Aber Michail hatte nie ein Problem damit gehabt, einen glücklichen Ausdruck von einem traurigen zu unterscheiden, einen überraschten von einem verblüfften oder einen wütenden von einem lüsternen. Er kannte diese Gefühle, schließlich hatte er sie selbst schon empfunden. Außerdem hielten ihm die Leute ständig vor, manipulativ zu sein. Aber wie sollte er Menschen manipulieren, wenn er nicht über Empathie verfügte? Er konnte tyrannisch sein, ja, oder unglaublich streng, aber manipulativ? Das erforderte ja wohl ein gewisses Maß an Mitgefühl. Die Frage hätte eigentlich lauten müssen, ob ihm andere Menschen scheißegal waren oder nicht. Wenn man Empathie besaß, dann sollten sie einem wohl nicht scheißegal sein. Letztlich drehte sich die Frage doch genau darum. Und die Antwort lautete: Ja, die anderen waren ihm scheißegal. Aber hier lag der springende Punkt: Wie sollte er sich sicher sein, dass er deshalb nicht normal war? Und woher sollte er wissen,
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