Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Waechter des Labyrinths

Waechter des Labyrinths

Titel: Waechter des Labyrinths
Autoren: Will Adams
Vom Netzwerk:
strich «oberflächlicher» durch und schrieb «falscher» hin. Abgehakt.
     
Neidisch auf andere.
     
    Er runzelte die Stirn. Würde er wirklich mit anderen Leuten tauschen wollen? Höchstens, um hier rauszukommen. Aber drauf geschissen. Abgehakt.
     
Häufiges Gefühl von Langeweile. Abgehakt.
     
    Er gab ihr den Fragebogen zurück. Ein perfektes Ergebnis. Sie nahm die Seiten mit einem affektierten Lächeln, als hätte sie gerade eine Wette gewonnen. Michail lächelte auch. Er mochte anmaßende Psychologen. Sie hielten sich für so allwissend, für so unverwundbar. Aber umso mehr waren sie am Arsch, wenn er sie zu fassen kriegte. «Sie haben meine Frage nicht beantwortet», sagte er.
    «Welche Frage?»
    «Ob Sie mich nackt vor sich gesehen haben. Als Sie masturbiert haben.»
    «Masturbation, Mr.   Nergadse?», meinte sie trocken. «Verwechseln Sie da nicht mich mit sich selbst?»
    Er schaute ihr direkt in die Augen. Sie versuchte, seinem Blick standzuhalten, aber sie hatte keine Chance. Als sie schließlich wegschaute und ihr Hals die schönsten Farben annahm, spürte er ein vertrautes Kribbeln im Unterleib, das ihm bestätigte, warum sie in Wirklichkeit noch einmal hergekommen war. Es hatte nichts mit seiner sogenannten Störung zu tun. Jedenfalls nicht in einer Art und Weise, die ihr Berufsverband gutheißen würde.
    Nachdem sie sich wieder gefasst hatte, wandte sie sich mit einem scharfen Blick erneut an ihn. Sie wollte Revanche. «Und», sagte sie, «wollen Sie mir erzählen, was in der fraglichen Nacht wirklich passiert ist?»
    «Das habe ich Ihnen bereits erzählt.»
    «Die wahre Geschichte.»
    «Ach so, die wahre Geschichte.»
    «Sie wollen es doch eigentlich erzählen. Männer wie Sie prahlen am Ende immer mit ihren … Heldentaten.»
    Michail deutete auf den Wärter, der noch immer neben der Tür stand. «Und Männer wie er schicken uns dafür auf den elektrischen Stuhl.»
    Sie wandte sich an den Justizbeamten. «Lassen Sie uns bitte allein.»
    Er warf Michail einen finsteren Blick zu. «Sind Sie sich sicher? Der Typ ist gefährlich.»
    «Ich habe Sie gebeten, uns allein zu lassen.»
    Die beiden schauten dem Wärter hinterher. Michail bemerkte, dass sie mit sich zufrieden war. Wie im Lehrbuch empfohlen, hatte sie Mut und Vertrauen gezeigt. Quietschend öffnete sich die Stahlluke in der Tür und der Wärter spähte durch das Sichtfenster. Durch das Glas wurde sein Gesicht vergrößert und sah noch hässlicher aus.
    «Und wenn er Lippenlesen kann?», fragte Michail.
    «Wollen Sie, dass wir die Plätze tauschen?», fragte sie. «Damit er Ihr Gesicht nicht sehen kann?»
    «Ich will, dass er überhaupt nicht zusehen kann.»
    Sie ging zur Tür und führte ein gedämpftes, angespanntes Gespräch. Die Tür schloss sich, dann auch die Klappe vor dem Sichtfenster. Sie nahm wieder Platz. «Und?», fragte sie. «Sind Sie nun bereit zu reden?»
    «Während Ihr Aufnahmegerät läuft?»
    «Diese Sitzung ist vertraulich. Ich versichere Ihnen, dass nichts gegen Sie verwendet wird.»
    Er schnaubte und hob eine Augenbraue. Sie seufzte und schaltete das Gerät aus. «Okay», sagte er. «Ich werde Ihnen erzählen, was Sie wissen wollen. Aber zuerst möchte ich etwas von Ihnen wissen.»
    «Was?»
    «Ich möchte wissen, warum Sie so interessiert an mir sind.»
    Sie betrachtete ihn einen Moment, als wollte sie herausfinden, ob seine Frage ehrlich gemeint war. Es erstaunte ihn immer wieder, wie leichtgläubig die Leute waren. Ihren Fragebogen schien sie bereits vergessen zu haben. Er sah sie ungerührt an, denn er wusste genau, dass sie ihm alles erzählen würde. Sie gehörte zu denen, die es nicht abwarten konnten, der ganzen Welt zu zeigen, was sie auf dem Kasten hatten. Und tatsächlich sprudelten die klugen Worte nach einer Weile nur so aus ihr heraus. Sie stand auf und ging gestikulierend in dem schmalen Raum auf und ab. Sie arbeitete gerade an einem Artikel über narzisstische Soziopathen. Dass Michail einer war, hätte natürlich jeder Erstsemesterstudent festgestellt, aber in der Regel zeigte sich eine narzisstische Persönlichkeitsstörung entweder auf geistiger oder auf körperlicher Ebene; die Arroganz, die die meisten Betroffenen an den Tag legten, beruhte also entweder auf ihrer Intelligenz oder aber auf ihren physischen und athletischen Fähigkeiten. Bei ihm hingegen war beides der Fall. Das allein machte ihn schon zu einem Kuriosum. Aber das war noch nicht alles. Die meisten Narzissten verspürten tief in ihrem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher