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Waechter des Labyrinths

Waechter des Labyrinths

Titel: Waechter des Labyrinths
Autoren: Will Adams
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abzuhalten waren, Rache zu nehmen für all die gelegentlichen Grausamkeiten, die sie durch ihre Hände erlitten hatten. Nichts konnte diese Menschen noch davon abhalten, die heiligsten Orte ihrer geweihten Schätze zu berauben.
    Es war Pijaseme gewesen, der eine Lösung für das letztere Problem vorgeschlagen hatte: alle Schätze hier zu verstecken, im Vertrauen darauf, dass kein Fremder sie jemals finden würde. Er hatte sich vor der Ratsversammlung erhoben und geschworen, dass ihm die Göttin im Traum erschienen war und es so befohlen hatte. Da man die Göttin um jeden Preis versöhnlich stimmen wollte, hatten alle sofort eingewilligt. Und als während der nächsten Monde pflichtgetreu die Schätze eingetroffen waren, hatte Pijaseme jedem einen Beleg über das Gebrachte ausgehändigt, dazu eine mit Zeichen geprägte Tonscheibe. Sollte von ihnen niemand mehr am Leben sein, wenn sich die Insel erholt hatte, würden ihre Nachfahren das Labyrinth mit Hilfe der Tonscheibe wiederfinden.
    Wie er frohlockt hatte, als die Schätze ausgebreitet waren! Er war sich sicher gewesen, dass die Göttin ihn belohnen würde. Doch ihr Zorn war keinesfalls verraucht, er war rasender geworden, sogar persönlicher. Während andere Gemeinden die schlimmsten Plagen überwunden zu haben schienen, hatte Pijasemes Gemeinde mehr und mehr gelitten. Die Göttin hatte ihm seine Kinder genommen, auch deren Kinder und Kindeskinder – bis von der einst großen Familie nur noch er und sein geliebter Enkel Eumolpos übrig geblieben waren. Und schließlich hatte er sich in seinem tiefsten Innern den wahren Grund für ihre Raserei eingestehen müssen: Es hatte keinen Traum gegeben. Er hatte die Schätze nicht der Göttin zu Ehren hierher bringen lassen, sondern um seiner selbst willen.
    Zu Beginn des Sommers, als deutlich geworden war, dass die Ernte einmal mehr ausfallen würde, hatte der Exodus begonnen. Unter Eumolpos’ Führung hatten sie die Berge nach Holz abgesucht, die Stämme hinunter zur Küste geschleppt und ein Schiff gebaut, mit dem ein paar Überlebende auf der Suche nach neuem Siedlungsland gen Norden gesegelt waren. Ihre Vorfahren waren über das Meer gekommen, da war es nur passend, auf diese Weise nun auch wieder zu verschwinden.
    Sie abreisen zu sehen hatte Pijaseme geschmerzt. Eumolpos hatte eigentlich sein Nachfolger als Hohepriester des Tempels werden sollen. Doch es gab keinen Tempel mehr, dafür hatten Poseidons Wellen gesorgt. Zumindest jedoch würde Eumolpos seine Erinnerungen mitnehmen, sein Wissen von den heiligen Utensilien und Ritualen. So würde die Göttin wenigstens weiter verehrt werden. Bevor sie abgereist waren, hatte Eumolpos Pijaseme gebeten, mit ihnen zu gehen, wenn auch mit gesenktem Blick. Aber Pijaseme war zu alt und zu stolz. Außerdem hatte er das heilige Gelübde abgelegt, die Schätze bis zu seinem Tod zu bewachen. Und das wollte er einhalten.
    Trotz des Mohnsaftes spürte er heftige Schmerzen, als er die Klinge durch die ledrige Haut seines Handgelenks stieß und dann den Unterarm der Länge nach aufschlitzte. Doch er ließ sich nicht davon aufhalten, erst recht nicht vor den Augen der Göttin. Er nahm das Messer in die andere Hand und schlitzte sich den anderen Unterarm auf. Das Blut strömte heraus und bildete rote Seen auf dem staubigen Fels.
    So sollte es sein.
    Denn sein Leben war es gewesen, die Göttin zufriedenzustellen. Und er hatte versagt.

EINS
    Broward County Jail,
    Fort Lauderdale, Florida
     
    «Besuch», knurrte der Wärter, als er die schwere Stahltür von Michail Nergadses Zelle öffnete. «Mitkommen.»
    Doch Michail ließ sich Zeit. An Orten wie diesen verlangte es die Selbstachtung, dass man Uniformierten nie aufs Wort gehorchte. Außerdem wusste er ohnehin, wer es sein würde. Diese vom Gericht bestellte Psychologin mit dem arroganten Zug um den Mund und den abweisend verschränkten Armen. Für solche Frauen hatte er schon immer ein Gespür gehabt. Tatsächlich wartete sie bereits ungeduldig in dem staubigen, weißgefliesten Verhörraum. Wie immer war sie schick gekleidet, mit einem marineblauen Blazer und passendem Bleistiftrock, das schwarze Haar fast genauso kurz geschoren wie sein Gefängnisschnitt, und mit einem dezenten Hauch von Parfüm und Make-up. Aber so dezent es auch war, Michail entging so etwas nicht.
    «Mr.   Nergadse», sagte sie säuerlich, wobei sie jede Silbe wie eine Beleidigung betonte.
    «Dr.   Mansfield», erwiderte er mit einem Nicken. «Was für eine
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