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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman
Autoren: Meinrad Braun
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EINS
    Ich stand im Stau. Unter einem Himmel von der Farbe benutzter Watte reihten sich die Autos hintereinander. Also den Motor abschalten, warten. Geht ja immer weiter irgendwann. Ich starrte auf die schwarzen Zeichen auf dem nächsten Nummernschild: nicht entzifferbar, Geheimschrift. Lea tauchte vor mir auf, ihr Spiegelbild. Ich schaute ihr über die Schulter, sah ihr dabei zu, wie sie sich durch den Vorhang ihrer schwarzen Schneewittchenhaare musterte, als wäre sie sich gerade zum ersten Mal begegnet, und sich mit einem wolkenweißen Wattebausch das Make-up von den Wangen wischte, mit der schicksalhaften Ernsthaftigkeit, die Frauen entwickeln können, wenn sie in einen Spiegel sehen. Unsichtbarer Voyeur, verfolgte ich die Bewegung, mit der sie eine neue Watteflocke zwischen Daumen und Zeigefinger nahm, ohne den Blickkontakt mit sich selbst aufzugeben, die Watte mal rechts, mal links auf die Haut unter den Lidern drückte, an die Stelle, an der die ersten Falten auftauchen würden. Lea schminkte sich jeden Morgen. Sich zu schminken war selbstverständlich für sie, ein Zeichen für Erfolg. Die benutzte Watte ließ sie liegen. Kleine Schlechtwetterwolken auf der Konsole im Badezimmer, wenn ich sie, nachdem Lea aus dem Haus gegangen war, aufsammelte und in den Mülleimer warf, bevor ich mich rasierte. Sie hatten einen fettigen Griff und verströmten einen Hauch Parfum, wie die Erinnerung an eine aufregende Nacht.
    Jemand hupte: weiterfahren. Ich war spät dran. Pünktlichkeit war nicht meine Stärke. Erfolg wahrscheinlich auch nicht, wobei ich den Zusammenhang von Pünktlichkeit und Erfolg nicht hätte begründen können. Besser, nicht darüber nachzudenken. Ich war müde, ich hatte in dieser Nacht kaum geschlafen. Der Bereitschaft zum Grübeln erlag ich weniger, wenn ich müde war. Man kann zwar im Sommer ohne Weiteres ein paar Nächte im Auto verbringen, aber in einem Auto fühlt man sich weder drinnen noch draußen. Man muss ständig an neuen Orten parken, wenn man schlafen gehen will. Ein Auto ist auf die Dauer kein Heim.
    Nachdem ich ein paar Kilometer im Stop-and-go über die Autobahn geschlichen war, nahm ich die nächste Ausfahrt, tastete mich durch einige Kreisel und fuhr anschließend durch das Industriegebiet in Britz, vorbei an verrußten Betonwänden und endlos langen Zäunen aus Aluminiumblechprofilen, deren trostloses Grau noch niemanden dazu verführt hatte, ein paar aufmunternde Graffiti darauf zu sprühen. Am Tor von Klemm fuhr ich erst einmal vorbei, weil mir die riesigen Buchstaben auf dem Gebäudedach nicht aufgefallen waren, sie waren einfach zu groß, um sie zu bemerken. Bei der zweiten Runde um den Block geriet ich hinter einen Traktor mit zwei Heuwendern auf dem Anhänger, die verrosteten Stahlzähne ineinander verhakt. Im Kampf verendete extraterrestrische Wesen von einem weit entfernten Metallplaneten. Ich folgte dem Traktor, dabei beobachtete ich die hin- und herschwankenden Eisenskelette. Unentschieden, die Sache war unentschieden ausgegangen, das Schicksal hatte beschlossen, die Wesen in irdischen Schrott zu verwandeln. Und Schrott, der konnte nur zu Klemm gehen.
    Der Traktor tuckerte langsam durch die Einfahrt, gesteuert von einer Gestalt, die bloß aus einem ausgestopften Parka mit Kapuze zu bestehen schien. Im August! Wahrscheinlich ein Androide, der sich Sorgen um seine Betriebstemperatur machen musste. Die Außerirdischen befinden sich längst unter uns, aber keiner will sie haben. Bekommen keine Jobs und keine Stütze, arbeiten inzwischen umsonst. Ungeduldig mit den Fingern aufs Lenkrad trommelnd, rollte ich hinter dem Traktor über ölfleckige Betonplatten auf das Firmengelände, sah nun auch die enorm großen fünf Buchstaben auf dem Betondach, fünf Versalien in einem verblichenen Taubenblau.
    Das Gelände war angefüllt mit Metallgegenständen jeder Art. Als habe jemand eine enorme Menge Schrott von oben hineingeschüttet, so viel, wie eben reinpasste. Man konnte förmlich sehen, wie die Schrottlawine in einer historischen Gründungskatastrophe hier niedergegangen war, sich ausbreitete und gegen die drei Meter hohen Betonmauern schwappte, ehe sie zur Ruhe kam. Gesandt von weisen Angehörigen einer fernen Intelligenz, die die Bewohner der Erde bestrafen wollten für den Mist, den sie fortlaufend produzierten, um ihn anschließend wegzuwerfen. In dem so entstandenen Schrottsee dümpelten ein paar Container, beladen mit blinkenden Metallbändern, verrosteten Regalen,
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