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Vor meinen Augen

Vor meinen Augen

Titel: Vor meinen Augen
Autoren: Alice Kuipers
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Dan.«
    Ich nickte, sagen konnte ich nichts, und sah nur in sein Gesicht. Er hatte dunkle Haut und blaue Augen. Ich musste unwillkürlich denken, dass Emily seine Augen auch gefallen hätten. Mum hat einen Globus in ihrem Büro stehen, viele Leute haben so einen, das meiste darauf ist Meer, und Dans Augen erinnerten mich an den Globus auf Mums Schreibtisch. Außer, dass die Globusfarbe irgendwie flach und künstlich ist. Dans Augen dagegen hatten Tiefe. Als hätten sich seine Augen gerade erst in den Tiefen des Meeres aufgefrischt. Blau, blau, blau.
    Einer der Jungs neben mir stand auf, und Dan fragte, ob er sich setzen könnte.
    »Klar.« Ich lächelte.
    »Ich habe bemerkt, dass du dich mit niemandem unterhältst«, sagte er, seine Stimme war tief und freundlich.
    »Ähm, vielleicht bin ich schüchtern?«
    Er lächelte wieder, als sei meine Antwort lustig oder süß oder sonst was. »Dann kucken wir doch mal, ob ich dagegen was machen kann«, meinte er.
    In meinem Bauch kribbelte es. Und dann redeten und redeten wir. Hier kommt alles, woran ich mich erinnern kann: Er ist siebzehn, geht an die St. Philips und möchte Philosophie studieren. Er mag Brathähnchen, weil er im letzten Jahr einen Monat in Amerika verbracht und dort jede Menge Brathähnchen gegessen hat. In den nächsten Ferien möchte er eine längere Reise machen, nach Südamerika und nach Bali. Als er Bali sagte, fiel mir dieser Terroranschlag ein und ich erstarrte für einen Moment, aber er redete weiter, deshalb hat er es bestimmt nicht bemerkt. Also weiter: Er kommt aus dem Iran. Das heißt, er selbst nicht, nur sein Dad. Seine Mum kommt aus London, ich glaube sogar aus Islington, jedenfalls irgendwo hier aus unserer Gegend. Und ich wollte ihn eigentlich fragen, ob seine Eltern sich getrennt haben oder noch zusammen sind, und wie es im Iran war, ob er dort schon mal gewesen ist, und ob sein Vater Muslim ist, auch wenn es egal wäre, falls ja – denn weshalb sollte es nicht egal sein. All diese Dinge dachte ich und musste ganz still geworden sein, denn Dan sagte: »Du bist wirklich hübsch, wenn du so nachdenkst.«
    Ich wäre fast vom Sofa gefallen. Es war, als ob alles im Zimmer aufgehört hätte, sich zu bewegen. Alles, was ich fühlen konnte, war mein wie wild schlagendes Herz, es hüpfte herum wie die Nadel in den Rillen einer alten Schallplatte.
    Abigail kam schwankend herein und setzte sich auf die Sofalehne, während sie versuchte, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Sie beugte sich vor und sagte schleppend: »Dan, ich sehe, du hast meine beste Freundin Sophie kennengelernt.«
    Ich verschränkte die Arme und drehte mich halb von ihr weg. Sie sollte gehen und aufhören, affektiert den Kopf zu werfen und Dan anzulächeln. Aber er sah sie gar nicht richtig an. Stattdessen sagte er: »So heißt du also.« Unsere Blicke trafen sich und ein Schaudern ging DURCH MICH HINDURCH.
    Abi sagte: »Ich muss sie mal kurz ausleihen, okay?« Sie fasste mein Handgelenk und zog mich ins andere Zimmer.
    »Was ist denn los?«, fragte ich und fügte dann hinzu: »Du bist ja völlig betrunken«, was wohl ziemlich gemein klang, aber ich war echt überrascht. Abi hasst es nämlich, sich zu betrinken, wegen ihrer Mum.
    »Mir ist so schlecht, Soph.« Sie hielt sich die Hand vor den Mund und sagte durch ihre Finger: »Hat Wodka eine Menge Kalorien?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Ich muss mich übergeben.«
    »Was soll ich tun?«, fragte ich.
    »Ich will nicht, dass es irgendjemand merkt.«
    Ich sah mich um, registrierte die vielen älteren Typen und alle anderen, die rauchten und tanzten. Es musste furchtbar für Abigail sein, diese Übelkeit, wo doch so viele fremde Leute bei ihr im Haus waren. Ich brachte sie ins Badezimmer und hielt ihre feuchten Locken zurück, während sie sich übergab. Ich dachte erst, mir müsste wegen des scharfen, säuerlichen Geruchs in dem kleinen Raum auch schlecht werden, aber dann blieb ich, selbst als sie fertig war, wischte ihr das Gesicht ab und reichte ihr etwas, um den Mund auszuspülen.
    Als wir schließlich wieder nach unten kamen, war die Party in vollem Gange, mit lauter Musik und einem totalen Durcheinander von Unterhaltungen. Ich hielt nach Dan Ausschau, konnte ihn aber nirgends entdecken. Ich war müde und traurig, und in dieser Stimmung will ich eigentlich niemanden um mich haben. Ich rief mir ein Taxi, und es dauerte ewig, bis es kam. Der Fahrer berechnete mir zu viel, weil er behauptete, ich hätte IHN warten lassen, was nicht
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