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Vor meinen Augen

Vor meinen Augen

Titel: Vor meinen Augen
Autoren: Alice Kuipers
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vielen Körpern und Gliedmaßen vorbei. Ich kämpfte mich weiter, bis ich es durch eine Seitentür hinausschaffte.
    An der frischen Luft wurde ich ruhiger, und ich überlegte, was ich jetzt tun sollte. Ich musste gar nicht in den Kunstraum. Aber es war jetzt auch zu spät, um zurückzugehen, Abigail zu suchen und mich dafür zu entschuldigen, dass ich so durchgeknallt war. Ich ging rüber zur Aschenbahn und blickte hinaus aufs Spielfeld. Der Rasen sah ziemlich schlimm aus, vom Hockey- und Leichtathletiktraining abgewetzt und mit Schlammpfützen durchzogen. Meine Wimpern wurden feucht vom Nieselregen. Es war bloß ein weiterer grauer Tag. Das war alles, woran ich denken musste.

Donnerstag, 12. Januar
    Ich möchte einfach nur alles vergessen. Als ich das zu der blöden »Ms Brown, bitte nenn mich Lynda« sagte – die rundlich und sanft ist, und mich aus großen Augen wie ein verstörtes Kätzchen ansieht, wenn ich nicht mit ihr reden will –, antwortete sie freundlich: »Meinst du wirklich? Ich glaube nicht, dass es dir helfen wird, alles tief in dir zu begraben.«
    Sie täuscht sich so sehr, dass ich am liebsten laut losgeschrien hätte. Stattdessen beschloss ich, die ganze Stunde nicht mehr zu reden. Ich langweilte mich so sehr, dass ich das Gefühl hatte, meine Zunge würde mir aus dem Mund fallen wie eine Schnecke aus dem Salat. Ich musste meine Augen offen halten, denn wenn ich sie schloss, sah ich Emily, was das Letzte war, was ich wollte, aber meine Augen offen zu halten, bedeutete, dass ich das Mitgefühl und die Geduld auf Lyndas Gesicht sah.
    Ich bekam es so satt, dass ich aufsprang, hinausrannte und die Tür hinter mir zuschlug. Lyndas Praxis befindet sich in einem normalen zweistöckigen Wohnhaus aus Backstein. Die Vorhänge sind gelb. Eine fröhliche Farbe, krankenhausfröhlich. Ich ließ das alles hinter mir und marschierte die Straße hinunter.
    Als ich hörte, dass Lynda mir nachrief, verschwand ich schnell in einem Eckladen. Ich tigerte auf und ab durch die schmalen Gänge und ging dann zur Kasse, da sah ich die Zigaretten. Ich wollte eine Packung kaufen, obwohl ich gar nicht rauche. Ich steckte meine Hände in die Taschen und tastete nach Geld, aber ich hatte keines dabei. Der dünne Mann hinter der Kasse musterte mich und runzelte die Stirn. Abigail und Megan rauchen; Zara und ich nicht. Ungefähr zwei Sekunden überlegte ich, ob alles zwischen mir und Abigail wieder normal würde, wenn ich mir das Rauchen auch angewöhnte, aber das war natürlich nur so eine blöde Idee.
    Der Mann sagte: »Kann ich dir helfen?«
    Ich antwortete nicht, sondern sah nur zu, dass ich schleunigst aus dem Laden kam.

2  Mit Ringen an den Fingern
Und Knoten im Haar

Freitag, 13. Januar
    Heute Abend ist Abigails Party. Wenigstens fährt Mum mich hin, so dass ich nicht die Bahn nehmen muss.
    Ich weiß nicht, was ich anziehen soll. Ich habe Abigail angerufen, um zu fragen, aber bei ihr war besetzt. Bei Megan war auch besetzt. Ich saß eine ganze Weile auf dem Bett und versuchte, nicht sauer zu sein, weil die beiden offensichtlich miteinander telefonierten. Warum bin ich nur so erbärmlich?
    Schließlich rief ich noch mal bei Megan an, aber diesmal ging sie ran. Natürlich hatte ich ihr überhaupt nichts zu sagen, denn ich hatte nur angerufen, um zu sehen, ob sie immer noch mit Abigail telefonierte, und alles, was mir einfiel, war zu fragen, was ich ihrer Meinung nach wohl zur Party anziehen sollte. Ich hörte an ihrer Stimme, dass sie mich armselig fand, aber sie sagte: »Ich trage einen Rock und ein neues Top, das ich letztes Wochenende mit Abi gekauft habe.«
    Ich mag keine Röcke. Ich ziehe lieber meine Jeans an.

Samstag, 14. Januar
    Es ist spät, und ich bin gerade von der Party nach Hause gekommen. Bloß gut, dass ich die Jeans angezogen habe. Megan trug auch Jeans, genau wie alle anderen. In einem Rock hätte ich total bescheuert ausgesehen.

    Ich habe schlecht geschlafen. Ich hatte einen furchtbaren Traum: Ich steckte in einem Brunnen fest, der voll Wasser lief, so dass ich nicht raus kam, dann änderte sich der Traum, und ich träumte von der Party. Als ich aufwachte, wusste ich im ersten Moment gar nicht, was Wirklichkeit und was der Albtraum war. Die schlechten Träume machen mich echt fertig, so dass ich das Schlafen am liebsten ganz aufgeben möchte.
    Also: Ich bin erst relativ spät bei Abi angekommen, weil ich ewig gebraucht habe, mich zu entscheiden, was ich anziehen soll. Megan und Abi waren schon
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