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Vor meinen Augen

Vor meinen Augen

Titel: Vor meinen Augen
Autoren: Alice Kuipers
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über Abigails Party zu reden. (Sie will die Gelegenheit nutzen, dass ihre Mum übernächstes Wochenende fort ist.) Megan geht schon um fünf zu Abigail – alle anderen können um acht kommen. Alle anderen, dazu gehöre auch ich. Früher war ich diejenige, die vor den anderen kam. Ich erinnere mich an das eine Mal vor Jahren, als Abi und ich eine riesige Übernachtungsparty bei ihr planten. Als wir am Nachmittag zusammen die Filme aussuchten und massenweise Chips und Schokolade für unsere Party hinstellten, waren wir total aufgeregt. Es wurde acht Uhr und niemand tauchte auf. Abi war den Tränen nahe, also stopften wir uns mit Chips voll und sahen uns die Hälfte der Filme an, bevor wir merkten, dass wir die anderen für den falschen Tag eingeladen hatten. Sie tauchten alle am nächsten Abend auf, und Abi und ich waren total erledigt, weil wir die Nacht davor so lange aufgeblieben waren. Jahrelang machten wir Witze über unser mangelndes Organisationstalent, bis nur eine von uns das Wort »Übernachtungsparty« sagen musste, damit die andere schon grinste. Ich fragte mich, ob Abigail sich wohl noch daran erinnerte. Ich blickte zu ihr, doch sie sah mich nicht an. Unentwegt ging es nur: »Megan bringt die Freunde ihres Bruders mit« oder »Megan hat eine tolle Idee für die Musik«. Ich konnte es kaum erwarten, endlich aus der überfüllten Cafeteria zu verschwinden.

Samstag, 7. Januar
    Heute hat Mum für uns zum Mittagessen was vom Chinesen bringen lassen: Hähnchen in Zitronensauce und Schweinefleisch süß-sauer. Wir haben schweigend in unserem Essen herumgestochert. Sobald sie fertig war, ist sie aufgestanden und hat den Rest des Abends bei ihrer Sammlung in ihrem Büro verbracht. Ich ging los, um der armen Fluffy Katzenfutter zu kaufen und fütterte sie, sobald ich zurück war. Sie schnurrte dankbar und strich um meine Beine. Dann setzte ich Wasser auf. Ich wollte Mum fragen, ob sie auch einen Tee trinken wollte, aber als ich nach oben ging, konnte ich durch die Tür hören, wie sie weinte. Da ging ich wieder nach unten und machte mir allein eine Tasse Tee (ohne Milch, würg). Ich schaltete den Computer ein, so dass ich beschäftigt aussah, als Mum vorbeikam und damit sie nicht merkte, dass ich sie gehört hatte.

Montag, 9. Januar
    Rosa-Leigh, die Neue, und ich nehmen den gleichen Bus nach Hause, aber sie redet nie mit mir. Stattdessen geht sie auf die obere Plattform, sobald wir eingestiegen sind. Darüber bin ich froh. So kann ich während der Fahrt aus dem Fenster sehen und brauche an gar nichts zu denken.

Dienstag, 10. Januar
    Heute Abend habe ich meine ganzen Hausaufgaben gemacht und ein wenig ferngesehen. Es gab praktisch nur irgendwelche Haus-Renovierungs-Sendungen oder echt gewalttätiges Zeug, das ich überhaupt nicht ertragen kann. Irgendwann stellte ich den Fernseher ab und saß nur da. In dieser abendlichen Düsternis wünschte ich mir, Abigail würde anrufen. Wir waren schließlich beste Freundinnen. Ich weiß, das Problem ist, dass sie nicht weiß, was sie sagen soll, das hat sie mir sogar schon mal erklärt, aber ich wünschte trotzdem, sie riefe an.
    Abigail hat angerufen, gerade eben. Verrückt. Ich sagte ihr, dass ich dabei bin etwas zu schreiben, und sie wollte wissen, was. Als ich ihr sagte, es sei privat, gab es eine unangenehme Pause, obwohl wir gerade mal zehn Sekunden miteinander telefoniert hatten. Dann wechselte sie das Thema. Sie erzählte, dass Megan ihren Bruder und all seine Freunde zu ihrer Party mitbrächte, was sie gestern in der Mittagspause schon erzählt hatte, und dass einer seiner Freunde in einem Club auflegen würde. Bei der Vorstellung, dass nun Megan die Party mit ihr plante, durchfuhr mich ein furchtbarer Stich – Megan ist zur Zeit immer überall dabei.
    Abigail fragte: »Was ist denn?«
    »Nichts.«
    »Hast du nicht Lust rüberzukommen?«
    Ich dachte daran, zur U-Bahn zu laufen, mir eine Fahrkarte zu kaufen und zu ihr zu fahren, wie ich es schon tausendmal vorher getan habe. Mein Kopf fing an zu dröhnen. »Ich hab noch Hausaufgaben.«
    »Du hast sie noch nicht gemacht?« Ich wusste, was sie meinte: Das sieht dir überhaupt nicht ähnlich. »Ach, komm schon, Soph! Komm einfach zu mir.«
    »Nein«, stieß ich hervor. »Ich muss Schluss machen.« Die Worte kamen schroffer heraus, als ich wollte, aber ich konnte sie nun nicht mehr ungesagt machen. Ich weiß, Abi versucht nur, nett und normal zu sein, wie ich es mir ja auch wünsche, aber es ist, als könnte ich
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