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Von Zweibeinern und Vierbeinern

Von Zweibeinern und Vierbeinern

Titel: Von Zweibeinern und Vierbeinern
Autoren: James Herriot
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an. »Aber, Lionel, so etwas kostet eine Menge Geld...«
    »Oh, das Geld habe ich. Erinnern Sie sich noch, daß mein alter Onkel vor einiger Zeit gestorben ist? Er hat jahrelang bei uns gelebt. Er hat mir eine kleine Erbschaft hinterlassen. Kein Vermögen, natürlich, aber ich könnte das hier ein bißchen ausbauen.«
    »Das ist natürlich Ihre Sache«, sagte ich. »Aber glauben Sie, daß Sie das wirklich wollen? Ich hatte immer den Eindruck, Sie wären ganz glücklich mit Ihren paar Tieren hier, und Sie sind ja auch nicht mehr der Jüngste. Sie sind Mitte fünfzig, nicht wahr?«
    »Ja, ich bin sechsundfünfzig. Aber sie sagen alle, man sei nie zu alt, um noch etwas Neues anzufangen.«
    Ich lächelte. »Oh, das glaube ich auch. Ich bin sehr für Neues – vorausgesetzt, Sie fühlen sich glücklich dabei.«
    Er sah nachdenklich aus und kratzte sich das Kinn. Ich nehme an, wie die meisten glücklichen Menschen merkte er gar nicht, daß er glücklich war. »Geh weg, Ente!« brummte er etwas gereizt und gab der Moschusente einen Schubs mit der Fußspitze, als sie versuchte, zwischen seinen Beinen hindurchzumarschieren. Immer noch tief in Gedanken, beugte er sich hinunter, nahm ein Hühnerei aus dem Stroh in der Ecke und steckte es in seine Tasche.
    »Ich habe es hin und her überlegt, und ich bin eigentlich entschlossen. Ich werde damit anfangen.«
    »Gut, Lionel«, sagte ich. »Dann tun Sie es. Viel Glück.«
    Mit einer in den Dales ungewöhnlichen Geschwindigkeit wurde das Gebäude auf dem Feld errichtet. Reihen von Zementboxen mit einem überdachten Hofraum entstanden, und nach wenigen Wochen waren Säue und ein Eber in den Boxen, und eine stattliche Anzahl Borstenvieh lief grunzend im Stroh des Hofraums umher.
    Für meinen Geschmack paßte das moderne Gebäude überhaupt nicht zu den alten Steinmauern, die das Anwesen umgaben, und zu den sanften Berghängen, die zum öden Hochmoor hin anstiegen. Ich hoffte nur, daß es Lionel die Befriedigung brachte, nach der er sich sehnte.
    Er arbeitete weiterhin als Straßenarbeiter und mußte sehr früh aufstehen, um seine Schweine zu füttern und den Stall auszumisten, aber er war in guter körperlicher Verfassung, und es schien ihm Freude zu machen.
    Seine Tierarztrechnungen gingen nach oben, natürlich, aber es war nie etwas Ernstes, und alle Fälle, die ich behandelte, gingen gut aus. Gelegentlich eine Sau mit Mastitis, ein paar Jungtiere, die Lähme hatten. Er nahm alles ohne zu klagen hin. Der alte Spruch »Wo etwas ist, gibt’s auch Schwierigkeiten« war ihm vertraut.
    Das einzige, was mich ein bißchen bekümmerte, war, daß er jetzt keine Zeit mehr hatte, wie früher einfach in seinem chaotischen Stall herumzustehen und, ein Pfeifchen rauchend, seine Tiere zu beobachten. Er war immer beschäftigt. Er lief mit der Schiebkarre herum, füllte die Futtertröge auf, mistete den Stall aus – und es kam mir so vor, als ob das alles seinem Wesen fremd war.
    Er war nicht mehr so gelassen, wie er es bisher gewesen war. Es machte ihn zwar glücklich, für seine neuen Schützlinge zu sorgen, aber in seinem Gesicht zeigte sich eine gewisse Anspannung, eine Angst, die ich vorher nicht bei ihm bemerkt hatte.
    Auch seine Stimme klang besorgt, als er eines Abends bei mir anrief. »Ich komme gerade von der Arbeit zurück, Mr. Herriot, und sehe, daß es ein paar von meinen jungen Schweinen gar nicht gut geht.«
    »Was fehlt ihnen denn, Lionel?«
    »Ach, sie sind schon seit einiger Zeit nicht richtig auf dem Damm. Sie gedeihen nicht so wie die anderen. Aber sie haben gefressen, deshalb wollte ich Sie nicht eher bemühen.«
    »Und wie geht’s ihnen jetzt?«
    Es entstand eine Pause. »Sie sehen komisch aus. Sie zittern irgendwie mit den Hinterbeinen, und sie haben ein bißchen Durchfall... Und eins ist tot. Ich mache mir etwas Sorgen.«
    Das tat ich auch. Und sogar ziemlich große Sorgen. Das klang verdammt nach Schweinepest! Als junger Tierarzt hatte sich mir das Wort in die Seele gebrannt. Für die jungen Kollegen der heutigen Zeit bedeutet es zum Glück so gut wie nichts mehr.
    Denn rund zwanzig Jahre lang wurde ich buchstäblich von der Schweinepest verfolgt. Wann immer ich ein verendetes Schwein öffnete, fürchtete ich, auf die gefährlichen Knopfgeschwüre und inneren Blutungen zu stoßen. Und noch mehr fürchtete ich, die Anzeichen der Krankheit zu übersehen und so für ihre Verbreitung mitverantwortlich zu sein.
    Es war zwar nicht so schlimm wie die Maul- und Klauenseuche, aber
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