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Von Zweibeinern und Vierbeinern

Von Zweibeinern und Vierbeinern

Titel: Von Zweibeinern und Vierbeinern
Autoren: James Herriot
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bis 100 Prozent der Schweine. Meiner Erfahrung nach waren es fast immer 100 Prozent.
    Ich atmete tief ein. »Lionel«, sagte ich, »sie könnten alle sterben.«
    Er wandte den Kopf und blickte über die Reihen der neuen Betonboxen mit den Säuen und den Ferkeln hin, und über die Jungschweine, die fröhlich im Stroh des Hofraums herumschnüffelten. Ich hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen, wie wenig überzeugend es auch klingen mochte.
    »Es kann sein, daß meine Befürchtung falsch ist. Ich schicke die Proben zum Labor und sage Ihnen Bescheid, wenn das Ergebnis vorliegt. Inzwischen geben Sie ihnen dieses Pulver, entweder unter das Futter gemischt oder in Flüssigkeit aufgelöst.«
    Ich verstaute die Gedärmproben im Kofferraum des Wagens und ging durch den Schweinestall, um mir Notizen zu den einzelnen Schweinen zu machen. Denn vor mir lag noch eine weitere harte Aufgabe – das Ausfüllen der Formulare. Ich habe eine Abneigung gegen Formulare, und das Formular für Schweinepest war endlos, und es enthielt unzählige Fragen. Ich mußte angeben, wie viele Säue und Eber im Stall waren, wie viele gesäugte und nicht mehr gesäugte Ferkel und wie viele Mastschweine.
    Am Abend plagte ich mich mit dem Ausfüllen des Bogens ab. Und dann ging es ans Verpacken der Gedärmproben. Das Ministerium hatte für solche Proben eine besondere Form der Verpackung vorgesehen. Auf den ersten Blick sah es aus wie ein flaches Quadrat zusammengefalteten Kartons, ein paar Bogen Fettpapier, ein Stück Bindfaden und ein Bogen braunes Packpapier. Wenn man jedoch näher hinsah, merkte man, daß der Karton zu einer kleinen rechteckigen Schachtel gefaltet werden mußte. Die Gebrauchsanweisungen waren ebenso ausführlich wie unverständlich. Und man durfte auch nicht einfach ein Stück Darm in die Schachtel tun, sondern mußte drei etwa zwanzig Zentimeter lange Stücke nebeneinander auf das Fettpapier legen, dann das überstehende Papier umschlagen und das Ganze mit Bindfäden zusammenbinden.
    Schließlich lagen noch zwei auffällige Karten dabei, eine rote und eine schwarze, beide mit dem Aufdruck: »Pathologische Muster. Dringend.« Auf diesen Karten befand sich ein Freiraum für die Adresse des Schweinezüchters. An beiden Enden der Karte befand sich ein Loch – der Bindfaden, mit dem die Gedärmproben umwickelt waren, mußte durch die Löcher gefädelt werden, ehe man die Schachtel schließen durfte. Die zweite Karte war für außen vorgesehen.
    Ich erfüllte die Vorschriften mit peinlicher Sorgfalt, und als ich endlich die Schnur durch die Löcher der äußeren Karten gezogen und die Schachtel in braunes Packpapier gewickelt hatte, fiel ich erschöpft in meinem Stuhl zurück.
    Ich starrte gerade mit glasigen Augen auf die beiden Umschläge mit den Formularen, als ich sah, daß die andere Karte noch auf dem Tisch lag. Ich hatte vergessen, sie in den Karton zu legen.
    »Verdammter Scheißdreck!« brüllte ich. »Das passiert mir immer!«
    Helen muß gedacht haben, ich hätte einen Anfall, jedenfalls kam sie aufgeregt herbeigestürzt.
    »Geht es dir nicht gut?« fragte sie ängstlich.
    Ich ließ den Kopf hängen. »Entschuldige. Es ist diese verdammte Schweinepest.«
    »Schon gut, Jim.« Sie sah mich nachdenklich an. »Aber schrei bitte nicht so laut, du weckst die Kinder.«
    Wütend öffnete ich die Schachtel wieder, zog die Bindfädenenden durch die Karte und packte alles wieder ein. Wie ich das haßte!
    Ich brachte das Päckchen zum Bahnhof und schickte es ab. Um mein Gewissen zu beruhigen, wandte ich mich anschließend einem meiner Lehrbücher zu: Udalls Praxis der Veterinärmedizin. Aber auch hier fand ich keinen Trost. Alles, was er beschrieb, erinnerte mich an das, was ich bei Lionel gesehen hatte. Er sprach von Schutzimpfungen, um die gesunden Schweine zu schützen, aber das hatte ich in anderen Fällen schon versucht, und es hatte nichts geholfen. Es würde Lionel nur zusätzliche Kosten verursachen.
    Nach wenigen Tagen erhielt ich das Ergebnis. Das Ministerium sah sich nicht imstande, an Hand der vorliegenden Proben die Krankheit als Schweinepest zu diagnostizieren. Am selben Tage rief Lionel an.
    »Den Schweinen geht es schlechter. Das Pulver hat nicht geholfen. Es ist schon wieder eins gestorben.«
    Ich fuhr sofort zu ihm und öffnete das verendete Tier. Und als ich diesmal die Därme der Länge nach aufschnitt, glaubte ich wirklich, etwas Eindeutiges gefunden zu haben. Die verdächtigen Stellen waren leicht erhaben und
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