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Von Zweibeinern und Vierbeinern

Von Zweibeinern und Vierbeinern

Titel: Von Zweibeinern und Vierbeinern
Autoren: James Herriot
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Clarke auf, wenn über Religion und Glauben oder über besonders fromme Menschen gesprochen wird. Grandma Clarke wußte, sie war ihres Glaubens sicher.
    Sie war hoch in den Achtzigern. Sie trug immer Schwarz und immer auch ein kleines schwarzes Halsband. Sie hatte noch die harten Zeiten auf dem Land erlebt und konnte auf ein langes Leben voll mühseliger Arbeit zurückblicken.
    Als ich nach dem Handtuch griff, kam der Bauer mit Rosie in die Küche.
    »Mr. Clarke hat mir die Küken gezeigt, Daddy«, sagte Rosie.
    Grandma Clarke hob den Kopf. »Ist das Ihre kleine Tochter, Mr. Herriot?« fragte sie.
    »Ja, Mrs. Clarke, das ist Rosie«, sagte ich.
    Sie legte ihr Strickzeug hin, erhob sich steif vom Stuhl, ging schlurfend zu einem Regal und nahm einen Riegel Schokolade aus einer bunten Dose.
    »Wie alt bist du jetzt, Rosie?« fragte sie und gab ihr die Schokolade.
    »Danke. Ich bin sechs«, antwortete Rosie.
    Grandma blickte in Rosies lächelndes Gesicht und betrachtete ihre kräftigen, gebräunten Beine in den blauen Shorts. »Dann bist du ja schon ein großes kleines Mädchen.« Einen Augenblick legte sie ihre rauhe Hand an Rosies Wange, dann ging sie wieder zu ihrem Stuhl zurück. Für mich war diese Geste so etwas wie ein Segensspruch.
    Die alte Dame fing wieder an zu stricken. »Und wie geht es Ihrem Jungen, Jimmy?«
    »Danke, gut. Er ist jetzt zehn. Heute morgen ist er mit Freunden unterwegs.«
    »So, so, zehn. Zehn und sechs... zehn und sechs...« Eine Zeitlang schienen ihre Gedanken weit weg zu sein. Dann sah sie mich an. »Vielleicht wissen Sie es nicht, Mr. Herriot«, sagte sie, »aber das ist die beste Zeit in Ihrem Leben. Wenn die Kinder klein sind und heranwachsen – das ist die beste Zeit. Bei jedem. Nur wissen es viele Leute nicht. Sie merken es erst, wenn es zu spät ist.«
    »Ich glaube, ich habe es immer gewußt, Mrs. Clarke — ohne groß darüber nachzudenken.«
    »Das scheint mir auch so, junger Mann.« Sie warf mir ein verschmitztes Lächeln zu. »Sie haben immer eins von Ihren Kindern bei sich, wenn Sie Ihre Besuche machen.«
    Als ich den Hof verließ, gingen mir die Worte der alten Dame im Kopf herum. Auch heute noch nach all den Jahren muß ich oft daran denken. Das Leben ist gut zu uns gewesen und ist immer noch gut zu uns. Wir sind glücklich, wir haben schöne Zeiten hinter uns, aber ich glaube, was Grandma Clarke über die beste Zeit im Leben gesagt hat, stimmt.
    Als ich an diesem Sommermorgen nach Skeldale House zurückkam, verstaute Siegfried gerade einen Vorrat an Medikamenten im Kofferraum seines Wagens. Seine Kinder, Alan und Janet, halfen ihm. Auch er hatte sie so oft wie möglich bei sich.
    Er machte die Haube des Kofferraums zu und sah mich lächelnd an. »Im Augenblick liegen keine Anrufe vor, James. Komm, laß uns ein bißchen hinten in den Garten gehen.«
    Die Kinder liefen vor uns her, als wir an der Seite des Hauses vorbei in den großen Garten gingen. Die Sonne war hier zwischen den hohen alten Mauern gefangen, und der Wind raschelte hoch oben in den Blättern der Apfelbäume.
    Auf dem großen Rasenstück ließ sich Siegfried zu Boden fallen. Er stützte sich auf den Ellbogen, riß einen Grashalm aus und kaute gedankenverloren darauf herum. Ich setzte mich neben ihn.
    »Schade um die Akazie«, murmelte er.
    Ich sah ihn überrascht an. Es war viele Jahre her, seit der schöne Baum, der einst mitten auf dem Rasen gestanden hatte, bei einem Sturm umgefallen war.
    »Ja, ist es«, sagte ich. »Sie war herrlich.« Ich schwieg einen Moment. »Erinnerst du dich noch, daß ich am ersten Tag, als ich hierher kam und dich um eine Arbeit bat, darunter eingeschlafen bin? Das war unsere erste Begegnung.«
    Siegfried lachte. »Ja, ich erinnere mich.« Er betrachtete die Feldsteine in den Mauern, den Steingarten, die Rosenbeete, die Kinder, die hinten im alten Hühnerhaus spielten. »Wirklich, James, wenn du es richtig bedenkst, haben wir seither eine ganze Menge zusammen geschafft. Es ist eine Menge Wasser den Fluß hinuntergeflossen, wie man so sagt.«
    Wir schwiegen beide eine Zeitlang, und meine Gedanken wanderten zurück zu den arbeitsreichen und fröhlichen Tagen damals. Fast unbewußt legte ich mich ins Gras zurück und schloß die Augen. Ich fühlte, wie die Sonne warm auf mein Gesicht schien, hörte das Summen der Bienen, das Krächzen der Raben in den hohen Ulmen.
    Siegfrieds Stimme schien von sehr weit her zu kommen. »He, machst du den gleichen Trick noch einmal? Schläfst du
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