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Von Zweibeinern und Vierbeinern

Von Zweibeinern und Vierbeinern

Titel: Von Zweibeinern und Vierbeinern
Autoren: James Herriot
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Hunger, wollen ihr Fressen haben, genau wie gestern morgen.«
    Ich fiel ins Kissen zurück, und mein Seufzer der Erleichterung muß am andern Ende der Leitung zu hören gewesen sein, denn Lionel lachte.
    »Ja, so fühle ich mich auch, Mr. Herriot. Es ist ein Wunder. Gestern, bei all dem Salzgerede, dachte ich, Sie wären durchgedreht. Aber Sie hatten recht, Mann. Sie haben meine Schinken gerettet.«
    Ich lachte. »Ja, ich nehme an. In mehr als einer Hinsicht.«
    Ich glaubte, dieser unerwartete Glücksfall würde Lionel endgültig zum Schweinezüchter machen. Aber ich irrte mich. Es vergingen mehrere Wochen, ehe ich ihn wiedersah. Als ich weiterfahren wollte, kam gerade ein junger Mann auf einem Fahrrad.
    Lionel stellte ihn mir vor. »Das ist Billy Fothergill, Mr. Herriot.« Ich schüttelte einem etwa zweiundzwanzigjährigen lächelnden jungen Mann die Hand.
    »Bill übernimmt das hier im nächsten Monat.«
    »Was?«
    »Ja, ich habe ihm die Schweine verkauft, und er will die Gebäude von mir mieten. Er macht jetzt schon alle Arbeit.«
    »Da bin ich aber überrascht, Lionel«, sagte ich. »Ich dachte, es machte Ihnen Spaß?«
    Er sah mich verschmitzt an. »Das hat es auch getan, ein bißchen wenigstens. Aber ich will Ihnen was sagen, diese Salzsache neulich hat mir wirklich einen Schock versetzt. Ich dachte, ich wäre ruiniert, und das ist ein dreckiges Gefühl in meinem Alter. Billy hat sich drei Jahre lang bei Sir Thomas Rowe um die Schweine gekümmert. Und jetzt hat er geheiratet und möchte sich gern selbständig machen.«
    Ich sah den jungen Mann an. Er war nicht groß, aber sein runder Kopf, die breiten Schultern und die etwas gebogenen Beine deuteten darauf hin, daß er viel Kraft hatte. Er sah aus, als ob er durch eine Ziegelmauer rennen könnte.
    »Es ist am besten so«, fuhr Lionel fort. »Die Schweinezucht war ganz in Ordnung, aber es ist mir immer ein bißchen zuviel gewesen. Ich wette, Billy wird besser mit der Arbeit fertig als ich.«
    Ich betrachtete wieder Billys kräftiges Gesicht, seine gebräunte Haut, den klaren Blick, das zuversichtliche Grinsen.
    »O ja«, sagte ich. »Er wird bestimmt gut damit fertig werden.«
    Als Lionel mich zum Wagen begleitete, griff ich nach seinem Ellbogen. »Lionel, werden Sie Ihre Tiere nicht vermissen? Das war doch immer Ihr Hobby, nicht?«
    »Bei Gott, da haben Sie recht. Das war es, und das ist es immer noch. Ich könnte nicht leben ohne ein paar Viecher, um die ich mich kümmern kann. Ich habe meinen alten Schuppen wieder bevölkert. Kommen Sie, sehen Sie es sich mal an.«
    Wir gingen zum Schuppen hinüber, und er öffnete die Tür. Und es war, als ob die Uhr zurückgestellt worden wäre. Eine Kuh, drei Kälber, zwei Ziegen, zwei Schweine und allerlei Federvieh – alle durch exotische Wände voneinander getrennt. Ich sah die alten Bettgestelle und den Maschendraht, mit Bindfaden zusammengebunden. Der einzige Unterschied war, daß Lionel den Mahagoni-Eßtisch jetzt gleich an der Tür aufgestellt hatte und daß neben der Kuh aufrecht ein Klavierdeckel stand.
    Lionel deutete auf die Tiere und erzählte mir ihre Geschichten. Und während er sprach, lag eine Zufriedenheit in seinem Gesicht, die ich seit langem nicht mehr gesehen hatte.
    »Nur zwei Schweine, Lionel?« sagte ich.
    Er nickte bedächtig. »Ja, das ist genug.«
    Ich ließ ihn dort zurück und ging zum Wagen. Von hier aus war der häßliche neue Schweinestall nicht zu sehen, sondern nur das kleine Wohnhaus im Schutz der Bäume und der alte Schuppen daneben. Lionel lehnte sich an seinen umgekippten Eßtisch, und während er auf seine Tierschar blickte, sah ich den Rauch aus seiner Pfeife vor dem Hintergrund der grünen Hügel hoch in die Luft steigen. Das Bild stimmte wieder. Ich lächelte vor mich hin.

Kapitel 22
     
    Es war ein Sonntagmorgen im Juni. Ich wusch mir in Matt Clarkes Küche die Hände. Die Sonne schien, und über die Berghänge fuhr ein frischer Wind. Die Luft war klar, und ich sah durchs Fenster, wie die Schatten der Wolken über die grünen Hügel hinwegglitten.
    Das Radio auf dem Küchenschrank war angeschaltet, es brachte die Morgenandacht, und ich beobachtete, wie Grandma Clarke, die in der Küche saß und strickte, ab und zu den weisen Worten des Geistlichen lauschte, ehe ihre Nadeln weiterklapperten.
    Sie strahlte eine große Heiterkeit und unerschütterlichen Glauben aus. Es ist seltsam, aber auch heute noch steigt vor meinen Augen das faltige alte Gesicht, der ruhige Blick von Grandma
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