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Von Moerdern und anderen Menschen

Titel: Von Moerdern und anderen Menschen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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suchte sorgsam nach einer angemessenen Antwort. Es war sein erstes Praktikum, und viele hatten was gegen Abiturienten im gehobenen Dienst. «Klingt mir ein bißchen zu druckreif», sagte er schließlich.
    «Wie mein’n Sie ‘n das?» fragte Furmaniak.
    Haiduck wich ihm aus. «Dazu bin ich noch nicht lange genug bei der Kripo, aber…»
    Furmaniak spielte den Überlegenen. «Der Junge ging… geht schließlich aufs Gymnasium, da lernt man wohl so ‘n Stil. Die Eltern sollen jetzt mal so richtig merken, was man für ‘ne Begabung war, groß und unverstanden – das stärkt das Schuldgefühl.»
    «Von der Seite kenn ich Sie noch gar nicht», sagte Haiduck.
    Furmaniak lächelte. «Irgendwie muß man sich ja schützen – kennen Sie noch nicht meine Devise: lieber Zynismus als Zyankali.»
    «Meinen Sie, der hat’s ernst gemeint?»
    «So was bedeutet immer höchste Alarmstufe», sagte Furmaniak.
    «Das sind doch aber gesicherte soziale Verhältnisse…», wandte Haiduck ein.
    «Offenbar doch nicht… Eine miese Zeit für junge Menschen. Alle machen ihnen den Mund wässerig, aber die süßen Früchte, die sind immer schwerer zu erreichen. Da heißt es dann in einer Tour, los, streng dich an! Dauernd Druck, dauernd Angst. Ich seh’s ja an meinen. Angst, später mal nichts vom Leben zu haben, umsonst gelebt zu haben.»
    «Was soll man machen?» Haiduck sah ihn an.
    Furmaniak deutete zur Decke, als steckten Wanzen hinter den schallschluckenden Platten. «So was fragt man einen Beamten nicht – schließlich will ich noch befördert werden. Die Situation ist eben so. Die brauchen heute ein ungeheures Maß an Liebe von zu Hause, sonst flippen sie aus, sonst gehen sie kaputt – oder sie werden kriminell: durch die verbotene Hintertür ins gelobte Land.»
    «Hatten Sie denn schon mal einen Schüler-Selbstmord hier, oder ist Christian Machnik der erste?»
    «Letztes Jahr ein Unterprimaner – hat sich nach zwei verhauenen Mathearbeiten vergiftet. Der Notenschnitt hätte nicht mehr gereicht für Zahnmedizin. Solange wir nicht…» Das Telefon unterbrach ihn; er nahm ab. «Furmaniak…?»
    «Hier ist die Mutter von…» Eine Stimme, die ihn bewog, den Hörer ein paar Zentimeter vom Ohr wegzuhalten.
    «Ja, Frau Machnik, guten Morgen. Ich weiß Bescheid. Ihr Mann war eben hier und hat den Brief… Jetzt ist er unten und… Wir lassen Abzüge von dem Bild machen, damit jede Funkwagenbesatzung…»
    Sie unterbrach ihn. «Heut haben wir Dienstag; nun ist er ja schon seit zwei Tagen von zu Hause weg, und…»
    «Wir bemühen uns wirklich, Frau Machnik, und wir haben jetzt alle verfügbaren Kräfte…»
    «Ja – jetzt!»
    «Frau Machnik, wir können doch nicht bei jeder Vermißtenanzeige von vornherein den ganzen Apparat aufbieten – wie oft ist alles nur blinder Alarm!»
    «Aber im Brief steht doch…»
    «Sicher, aber den habe ich ja gerade erst bekommen… Meine Kollegen geben sich wirklich alle Mühe. Sie müssen jetzt ruhig bleiben. Ihr Mann wird ja gleich wieder hier sein. Am besten, Sie kommen auch mal vorbei – wir können nicht genug Informationen über Christian haben.»
    «Er schreibt doch hier: Bleibt mir nur noch ein Weg, der letzte, und den werde ich gehen. Oder hier:… ich steige aus. Das kann doch nur heißen, daß er…»
    Auch Furmaniak wurde jetzt lauter. «Nein, nein! Das kann auch heißen, daß er jetzt Schluß machen will mit dem bürgerlichen Leben – irgendwo untertauchen in einer Kommune, oder auf Trebe gehen; da sehn Sie mal nicht so schwarz. Er wird im Augenblick irgendwo umherirren…»
    «… umherirren!?» rief Jutta Machnik dazwischen. «Und warum suchen Sie alle Wälder hier in der Umgegend mit Spürhunden ab?»
    «Eine reine Routinemaßnahme, Frau Machnik; das gehört nun mal zum Programm, ob’s sinnvoll ist oder nicht. Die Kollegen wollen auch mal wieder ‘n bißchen frische Luft schnappen.»
    Sie ließ sich nicht beruhigen. «Aber er ist doch mit dem Wagen weg – man hätte doch schon längst meinen Wagen finden müssen!»
    Furmaniak stutzte. «Ihr Wagen, ein marinogelber Passat, ja… Er ist doch erst siebzehn; hat er denn überhaupt ‘n Führerschein?»
    «Er hat bei uns auf dem Hof fahren gelernt», sagte sie schnell.
    Furmaniak verfiel wieder in seinen eingeübten Trost- und Zuspruch-Singsang. «Machen Sie sich mal deswegen keine Sorgen, Frau Machnik, das ist jetzt im Augenblick… Ah, da kommt ja Ihr Mann gerade rein. Nehmen Sie doch bitte Platz, Herr… Ja, Frau Machnik, wenn Sie
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