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Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten

Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten

Titel: Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten
Autoren: Nagel & Kimche AG
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Gasatomen aufhielten.
    Durch diese zwei Röhren sausen also Protonen, sagt Herr Landua und schaukelt, 300 Billionen linksherum und 300 Billionen rechtsherum, verdichtet zu einem Strahl, der dünner ist als ein dünnstes Menschenhaar, und portioniert zu 2800 Paketen, alle zehn Meter eins, beschleunigt von einem elektrischen Wechselfeld.
    Am besten denken Sie sich die Brandung eines Meeres, sagt Herr Landua aus seinem Kunstlederstuhl, eine Brandung, in der viele Wellenreiter gemeinsam auf einer riesigen Welle surfen und dabei immer schneller werden, am Schluss fast so schnell wie das Licht, schneller geht nicht.
    In einer einzigen Sekunde bereisen die Protonen ihren Beschleuniger 11 245 Mal. Magnete, jeder 14,3 Meter lang und 35 Tonnen schwer, halten sie auf Kurs in der Mitte ihres Gefäßes. Diese Magnete, Spulen aus Niob und Titan, erfüllen ihr Werk erst, wenn sie sogenannt supraleitend sind, heruntergekühlt auf –271,3 Grad Celsius, nur 1,9 Grad über dem absoluten Nullpunkt. Dann erst fließt der Strom ohne Widerstand und breitet ein Magnetfeld aus, das rund 150000 Mal stärker ist als das der Erde. Kühlmittel ist superflüssiges Helium – der neueste Teilchenbeschleuniger am Cern ist der größte und kälteste Kühlschrank hienieden.
    Herr Landua fragt, ob er schnell dürfe, er dreht sich zum Schirm und liest die neueste Post und antwortet sofort. In seinem Rücken ein schmales Regal, The trouble with physics , Die ersten drei Minuten , Mathematica , Einführung in den Buddhismus .
    Was möchten Sie noch wissen?, fragt Herr Landua und schaut auf die Uhr.
    Zur Kollision der Protonen, dem eigentlichen Experiment, kommt es an vier verschiedenen Stellen des Rings.
    An vier Stellen nämlich – wo die Detektoren sind, diese riesigen Messgeräte, zum Teil doppelt so schwer wie der Eiffelturm – reißen die beiden Röhren ab, und spezielle Magnete, genau dort angebracht, leiten jene Teilchen, die aus dem einen Strahlrohr schießen, übers Kreuz ins jeweils andere, bringen dabei, in einem Winkel von 1,5 Grad, die Protonen zur Havarie. 600 Millionen Mal in jeder Sekunde.
    Und seit Einstein wisse man – E = mc 2 , sagt Herr Landua.
    Verstehe ich nicht, sagt der Besucher.
    Energie kann sich in Materie umwandeln. Der LHC ist im Grunde eine Maschine, die auf kleinstem Raum hohe Energie konzentriert.
    Urknallmäßig?
    Wenn Sie so wollen – allerdings unendlich viele Male geringer und harmloser.
    Alle 2800 Pakete des Protonenstrahls besitzen ungefähr die Gesamtenergie eines Autos, das mit der Geschwindigkeit von 1600 Kilometern in der Stunde unterwegs ist. Oder die eines Schnellzugs, 400 Tonnen schwer, mit 150 Kilometer pro Stunde auf den Schienen. Sie würde ausreichen, fast 500 Kilo Kupfer zu schmelzen.
    Der Zusammenprall zweier einzelner Protonen im LHC entspricht zwar nur der Kollisionsenergie zweier Mücken, aber weil diese Energiemenge auf einem winzig kleinen Volumen konzentriert ist, entstehen dabei Temperaturen, die 100000 Mal höher sind als die im Innern der Sonne.
    Sie simulieren den Urknall!
    Sagen wir es so, sagt Herr Landua und lächelt fein – mit Beobachtung und mathematischen Modellen denken wir uns an den Urknall heran.
    Sie entgotten den Urknall!
    Gehen wir essen?
    Man setzt sich in Herrn Landuas grauen Chrysler Voyager SE und fährt durch den Herbst, in der Kantine des Cern hält Dr. Rolf Landua die tägliche Speisung nicht aus, zu viele Menschen auf zu kleinem Raum, zu groß die Masse. Mit Vorsicht steuert er seinen Wagen in die Tiefgarage des Einkaufszentrums Balexert, man steigt zwei Rolltreppen hoch, greift sich ein Tablett, Self Service, und schöpft in einen Teller, wonach es einen gelüstet, gemeine Bratkartoffeln und Gulasch, ein großes Glas Wasser, schließlich stellt man sich in eine Schlange, den Geldbeutel in der Hand, wartet, wartet.
    Was ist Zeit?
    Zeit, sagt Herr Landua, sei ein kompliziertes Konzept, noch von keinem wirklich begriffen.
    Er stellt das Gulasch auf eine Waage, dann den Salat, die Kassenfrau nennt eine Zahl.
    Zeit ist Veränderung. Gäbe es keine Veränderung, gäbe es keine Zeit.
    Man bezahlt und irrt, die Zehrung vor sich, durch den Raum, findet endlich einen freien Tisch und setzt sich daran.
    Was hat die Maschine denn gekostet?, fragt 219339.
    Landua blickt vom Gulasch auf: Fast fünf Milliarden Franken. Drei Milliarden Euro.
    Ist das gerechtfertigt?
    Ohne Frage!, sagt Dr. Rolf Landua im Restaurant des Supermarkts am Rand von Genf. Zwar spiele es dem Individuum,
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