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Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten

Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten

Titel: Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten
Autoren: Nagel & Kimche AG
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sagt Domingos und versucht zu lächeln.
    Halb zwölf, 4 A Delegacia Regional de Polícia Civil, in der Ecke stehen zwei Fahnen, die brasilianische und jene des Staates Maranhão, auf dem Kühlschrank liegt die kugelsichere Weste, auf dem Tisch sind eine Pistole und zwei Patronen, der Polizeichef, grünes Leibchen, tippt Chicos Namen in den Computer.
    Aha, sagt er, letztmals erfasst vor vier Jahren in Dom Eliseu, Pará, seine Mutter heißt Maria da Nazaré de Souza. Mehr steht da nicht.
    Danke, sagt Domingos und schreibt den Namen auf ein kleines Stück Papier.
    Die Wahlbehörde, sagt der Polizeichef, Rua das Laranjeiras 1477, Stadtteil Goiabal.
    Das Taxi kostet zehn Reais.
    Kein Problem, sagt der Mann von der Wahlbehörde, Cartório da 9° Zona Eleitoral, aber dazu brauchen wir die Erlaubnis des Richters, kein Problem.
    Der Beamte schaut zur Uhr, 12 Uhr 25.
    Aber der Richter kommt erst morgen wieder.
    Es ist heiß an der Avenida Rio Branco von Pedreiras, kein Schatten hier, Domingos Alves da Silva setzt sich in die Panificadora Amazonas unter den Ventilator. Ein Fernseher lärmt, die Stimmen derer, die den Rücktritt von Senatspräsident José Sarney verlangten, würden immer lauter, nachdem dieser, wie seit Wochen bekannt, in seinem Büro ein Dutzend Enkel und Schwiegersöhne beschäftige, einer so unfähig wie der andere. Doch ausgerechnet Staatspräsident Luiz Inácio Lula da Silva, der, damals noch Gewerkschafter und Anwalt der Armen, diesen Großgrundbesitzer Sarney einst den größten Dieb des Landes genannt habe, ausgerechnet dieser Staatspräsident verbreche nun den Satz: Senhor José Sarney hat genug Geschichte gemacht in Brasilien, um nicht wie ein gewöhnlicher Bürger behandelt zu werden.
    Plötzlich packt ein Mann, kurze Hose, weiter Bauch, die Kellnerin am Arm und schüttelt sie und schreit: Stell diesen elenden Sender ab, nichts als Lügen, stell ihn ab.
    Und Domingos, der selten lacht, lacht jetzt laut.
    Die Sekretärin der Pfarrei São Benedito bedauert, im Taufregister stünden nur die Vornamen der Getauften, nicht aber deren Familiennamen und schon gar keine Adressen, 13 Uhr 55.
    Können Sie es nicht trotzdem versuchen?, fragt Domingos.
    Was soll ich versuchen?, fragt die Frau und verzieht das Gesicht.
    Ob Sie im Register eine Maria da Nazaré da Souza finden.
    Maria da Nazaré heißt in Pedreiras jede Vierte, sagt die Frau. Und Souza heißt hier jeder Dritte.
    Sie öffnet einen Schrank, darin hohe gelbe Bücher, gefüllt mit blauer Tinte.
    Wenn jemand Ihnen helfen kann, dann vielleicht ein Notar.
    Das Notariat an der Avenida Rio Branco 425, Cartório 1˚ ofício, verweist auf das Notariat an der Rio Branco 564, Cartório 2˚ ofício.
    Kann schon sein, dass wir die Adresse dieser Frau fänden, sagt ein junger Mann, eine Wand Bücher vor sich, aber das dauert einen Monat.
    Danke, sagt Domingos Alves da Silva.
    Ratlos steht er an der Hauptstraße der Stadt, geht einige Schritte nach links, nach rechts, flieht schließlich ins Hotel, das Hemd klebt.
    Beim Radio waren Sie schon?, fragt der Wirt.
    Domingos möchte schlafen, er kann nicht, der Fernseher bewirbt Särge, das billigste Modell für hundertneunundneunzig Reais.
    Immerhin habe ich nun den Namen von Chicos Mutter, sagt Domingos am Telefon.
    Hier ist alles ruhig, sagt seine Frau.
    Freitag, 8. August 2009, halb neun Uhr, Domingos Alves da Silva steht im Vorraum von FM Cidade 101,5 Mhz an der Avenida Rio Branco 535 und spricht: Ich hatte einen Freund.
    Kein Problem!, sagt ein Mann und führt Domingos ins Studio, kühl und dämmerig, Schaumstoff an der Wand. Vor dem Mikrophon sitzt eine blonde Frau, sie legt den Kopfhörer ab, hört zu.
    Aber verraten Sie nicht, dass er tot ist, bittet Domingos.
    Die Blonde nickt und schreibt und schaut zur Uhr.
    Dann, neun Uhr, liest sie laut: Ein Mann namens Domingos Alves da Silva, hergekommen aus Breu Branco, Pará, Mitglied der Gewerkschaft der Landarbeiter, sucht die Verwandten eines gewissen Manoel Francisco Silva Souza, genannt Chico Dente de Ouro, dessen Mutter angeblich in Pedreiras lebt und Maria Nazaré de Souza heißt. Angesprochene melden sich bitte heute Nachmittag ab sechzehn Uhr im Hotel Basílio an der Rua Manoel Trindade 120, Telefon 3642 2759.
    Mehr können wir nicht tun, sagt die Blonde.
    Jetzt trottet Domingos durch die Stadt, die Hauptstraße hinab, vorbei am Sattler, am Bootsbauer. Im braunen Wasser des Rio Mearim treiben zwei Körper, ein Mann, eine Frau, und bewegen sich nicht.
    Leichen!,
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