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Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten

Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten

Titel: Von dieser Liebe darf keiner wissen - wahre Geschichten
Autoren: Nagel & Kimche AG
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schreit jemand, und die Brücke über den Fluss verstopft mit Menschen, Domingos schaut nicht hin. Er fragt: Wo ist hier das Büro der Landarbeiter?
    Wenn diese Maria da Nazaré de Souza unser Mitglied ist, sagt der dicke Sekretär an der Nova rua 536, dann finden wir die sofort.
    Er drückt sich hinter einen Schalter, am Arm eine breite goldene Uhr, und blättert durch Stapel von alten Karten, gelbe, weiße, grüne, zehn Minuten lang, zwanzig.
    Domingos sagt: Er war vielleicht mein bester Freund.
    Und dich?, fragt der Dicke, dich bedrohen sie nicht?
    Seit zwanzig Jahren bedrohen sie mich, am Anfang schlichen sie nur um Haus und Hof, versteckten sich, um mich zu erschrecken. Dann brachen sie den Hühnern die Beine und hofften, ich verschwände.
    Dann schweigen sie, der Dicke blättert, Domingos schaut zu, dreißig Minuten lang, vierzig.
    Nichts zu machen, sagt der Dicke.
    Ja, sagt Domingos.
    Die Straße runter, dann rauf, vielleicht eine Viertelstunde weit, dort ist das Lokalfernsehen, sagt der Sekretär.
    11 Uhr 15, Hitze und Staub am Rand von Pedreiras, Maranhão, kein Wind, kaum Schatten.
    Wie?, fragt der Reporter von TV Rio Vale und setzt sich breit neben Domingos Alves da Silva, Rua da Salvação 621, Straße der Erlösung.
    Was wie?
    Wie haben sie ihn ermordet?
    Kopfschuss, sagt Domingos.
    Es gibt Schlimmeres, sagt der Reporter und lacht und stellt sich vor die Kulisse, darauf die Pfarrkirche São Benedito, die Brücke über den Fluss, ein bisschen Wald, ein bisschen Himmel.
    Dann ist es zwölf Uhr, Zeit fürs Neuste, die Kamera läuft, der Reporter beginnt zu fuchteln und zu lärmen, im Rio Mearim, schreit er und fuchtelt, seien vor einer Stunde zwei Körper getrieben, bewegungslos, vielleicht tot, ein Enkel im Stadtteil Centro habe seinen Großvater gewürgt, der Baumarkt an der Rua Eurico Ribeiro 427 verkaufe heute und morgen schönste Kacheln mit zwanzig Prozent Rabatt, sensationell, und dieser Hund hier – der Reporter streckt ein Foto in die Kamera – werde seit vorgestern vermisst, bitte melden!
    Und außerdem sitzt ein Gast bei mir, sagt der Reporter, ein Mann von sehr weit weg.
    Er gibt Domingos ein Zeichen, Domingos tritt zu ihm, er zittert.
    Bitte!, sagt der Reporter.
    Mein Name ist Domingos Alves da Silva, ich stamme aus Breu Branco in Pará…
    Und weshalb sind Sie hier?
    Ich hatte einen Freund, Manoel Francisco Silva Souza, genannt Chico Dente de Ouro, nun suche ich seine Mutter.
    Weshalb?
    Ich muss mit ihr reden.
    Weshalb?
    Das möchte ich ihr selbst sagen.
    Hat sie einen Namen?
    Maria da Nazaré de Souza.
    Haben Sie gehört, Maria da Nazaré de Souza? Rufen Sie uns an oder kommen Sie vorbei an die Straße der Erlösung, Nummer 621! Dieser Mann hat Ihnen etwas zu sagen!
    Dann Werbung für Teller und Tassen, für Farben und Tapeten, Vorhänge, Zahnspangen – aber hallo, schreit plötzlich der Reporter, wir haben jemanden am Apparat, wer ist dran?
    Ich, sagt eine hohe dünne Stimme.
    Wer ich?
    Die Mutter von Manoel.
    Sie sind Maria da Nazaré de Souza?
    Ja.
    Sensationell! Kommen Sie her! Rua da Salvação 621.
    Ja, sagt die Mutter.
    Domingos Alves da Silva setzt sich auf einen Stuhl aus falschem gelbem Leder und wartet, die Hand vor dem Mund, und schweigt.
    Zahnspangen, schreit der Reporter in die Kamera, machen Sie schöner als Gisele Bündchen.
    Am Rand der Stadt Pedreiras hält ein Motorradtaxi, eine Frau steigt vom Sozius, klein und zahnlos, hellgrüner Rock, dunkelgrünes Leibchen, darauf eine Muschel, ein Seepferdchen, ihre Augen sind groß und starr, die Haare ein Knoten.
    Kommen Sie, kommen Sie!, sagt jemand.
    Dann stehen sie vor der Kamera, Domingos und Maria da Nazaré, sie sagt, sie sei eben ins Haus der Nachbarin getreten, als der Fernseher ihren Namen sprach, was für ein Glück, dass sie ausgerechnet dann ins Haus der Nachbarin trat, als der Fernseher ihren Namen sprach, seit vier Jahren sei ihr Sohn verschwunden, seit vier Jahren, und eigentlich wolle sie nicht glauben, was neulich jemand meinte, sie wolle nicht glauben, dass er tot sei, nein, aber wäre er tot, sagt die Frau, dann möchte sie wissen, weshalb und wie, alles möchte sie wissen, falls er tot sei, Gott gäbe ihr die Kraft, die Wahrheit zu ertragen, denn er sei kein schlechter Mensch, ihr Manoel, er habe nie angerufen, nie geschrieben, nie in all den Jahren, sie könne nicht glauben, dass er tot sei.
    Werbung.
    Es ist Freitag, 7. August 2009, 12 Uhr 43, Domingos und Maria da Nazaré stehen im schmalen Schatten einer
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